Hier am Lehrstuhl? Warum nicht. Aber im Ernst: Zwei Drinks zum Preis von einem oder beim Bäcker das Brot vom Vortag zum halben Preis – kennen wir alle. Nutzen wir alle. Heißt bei uns in der Vorlesung „Dynamic Pricing“.
Der Preis ist nix Fixes mehr, sondern variiert dynamisch je nach Tageszeit (Happy Hour), Jahreszeit (Saisonangebote), Situation (Marktneuheiten) oder Nachfrage (Rush Hour). Warum? Bei den Fluganbietern und Reiseveranstaltern sieht man das am deutlichsten: Die wollen ihre Flieger und Hotels vollkriegen! Also gestalten sie den Preis mit Frühbucher-Rabatten und Last-Minute-Nachlässen so, dass möglichst auch der letzte Platz besetzt wird und dass sie ihn nicht unter Wert verkaufen: hohe Nachfrage – hoher Preis. Von den Fluglinien kennen wir das, aber vom Online Shopping?
Vielen Online Shoppern ist noch nicht aufgefallen, dass etliche Online Shops beispielsweise am Wochenende ihre Preise erhöhen. Wegen der vielen Weekend Shopper. Klar, wer nur am Wochenende einkauft, bemerkt das oft nicht. Aber wussten Sie, dass der Preis ein und desselben Artikels auch vom Endgerät abhängt, das Sie zum Bestellen benutzen?
Womit bestellen Sie? Je nachdem, ob Sie mit PC, Notebook, Tablet oder Smartphone online gehen, fällt der Preis für denselben Artikel unterschiedlich aus. Weil Online Shops bei bestimmten Endgeräten davon ausgehen, dass sie in den Händen von besonders betuchten Kunden liegen. Also kann man ruhig mal einen Preisaufschlag riskieren. Das ist digitales Raubrittertum? Nur wenn man das mit sich machen lässt.
Auch die eigene Kauf-Historie ist ein Kriterium für Dynamic Pricing: Hat der Kunde in der Vergangenheit eher preisbewusst oder hochwertig eingekauft? Dann wird sowohl die ihm präsentierte Produktauswahl als auch deren Preis dynamisch an den Kunden angepasst. Oft ist auch der Weg preisentscheidend, auf dem ein Interessent zum Online Shop gelangt: Hat er die Adresse direkt in die Browserleiste eingegeben? Oder hat er sich über eine Anzeige im Netz verlinkt? Im ersteren Fall hat er bereits eine starke Bindung an den Online Shop – kann also ruhig mehr bezahlen. Im zweiten möchte ihn der Digitalladen sicher nicht mit einem als zu stramm empfundenen Preis verschrecken. Ich wette: Viele Menschen wissen das nicht.
Wir kennen die oftmals hysterisch schwankenden Preise an den Tankstellen. Wie wurde das möglich? Durch die Digitalanzeige. Früher musste der Tankwart noch auf die Leiter steigen und Täfelchen austauschen. Dieselbe Digitalisierung passiert gerade in Supermärkten. Rewe und Media-Markt/Saturn gehen voraus. Sie stellen auf digitale Preisschilder an den Regalen um. Anstatt neue Preisschilder zu drucken und aufzuhängen, reicht jetzt ein Knopfdruck, um zum Beispiel dem kompletten Sortiment einen Rush-Hour-Aufschlag zu verpassen. Wer zu spät kommt, den bestraft der Supermarkt.
Wenn neben einem Supermarkt zum Beispiel ein Discounter sitzt, der um 20 Uhr schließt, kann der Supermarkt ab 20.01 Uhr die Preise kräftig erhöhen: Ist ja keine Konkurrenz mehr in unmittelbarer Nähe! Am nächsten Morgen ist alles wieder so günstig wie zuvor. Und der Kunde ist der Dumme?
Nein, denn die Preisdynamik läuft in beide Richtungen. Natürlich kann der Einzelhandel bei der nächsten Fußball-Europameisterschaft zwei Stunden vor Spielanpfiff die Preise für Chips, Bier und Grillgut in die Stratosphäre schießen. Doch wenn nach dem Spiel die Nachfrage einbricht, ein Händler den Umsatz braucht und deshalb die Preisschraube wieder nach unten dreht, kann das einen Preiskampf entfachen, der Händler in die Unkosten treibt – und Kunden beglückt. Dynamic Pricing ist zwar ein hochwirksames, aber deshalb auch ein sehr gefährliches Instrument des Yield Managements, der Erlösoptimierung. Und total fies?
Nur dann, wenn wir nicht wissen, wie die Händler an den Preisen drehen. Aber jetzt wissen Sie es ja. Und können Ihre Kaufgewohnheiten danach richten. Es lässt sich nicht immer vermeiden, doch clevere Autofahren tanken längst nicht mehr kurz vor oder an einem Wochenende. Bald machen wir das auch online und im Supermarkt so: Je ausgefeilter die Technik auf Anbieterseite, desto ausgeprägter wird die Intelligenz auf Kundenseite.
Außerdem ziehen wir daraus ja auch einen Vorteil: Wer weiß, wann und in welcher Situation es am günstigsten ist, kann sich (wie beim Tanken) danach richten und zu den besten Preisen einkaufen: Target Shopping. Heute schon getroffen?