Was haben Sie für ein Problem?

Entschuldigen Sie die indiskrete Frage. Aber uns alle drückt gelegentlich der Schuh. Neulich zum Beispiel eine Bekannte, die saisonal bedingt schniefte und nieste. Sie zu ihrem Hausarzt: „Da muss es doch was Neues geben, was richtig hilft!“ Der Arzt guckt sie an und sagt: „Ich könnte Ihnen was Neues verschreiben. Aber das hülfe nicht halb so gut wie etwas Altes: Hauen Sie ein Huhn in den Suppentopf. Das Cystein, Zink und Histidin der Hühnerbrühe hilft in idealer Weise. Nachweislich.“ Mir ging ein Licht auf.

Was, so frage ich mich, wenn das nicht nur für das Huhn gilt. Sondern für alle Probleme? Wenn es mithin überhaupt keine Probleme gäbe? Weil die Lösungen alle schon da sind! Nur leider oft so alt, dass wir sie schon vergessen haben oder sagen/denken: „Ach, die olle Kamelle!“

Was, wenn unsere Probleme wie die Kleidermode wären: Was ist gerade wieder in? Die 70er? Egal was: Es war schon mal da. Und jetzt ist es wieder im Trend. Es musste nicht neu erfunden werden. Sondern nur wieder ausgegraben und an die Zeit angepasst. Moderne Sklaven der Globalisierung? Wie befreien wir sie bloß? Welcher Paradigmenwechsel im Management ist dafür nötig? Keiner!

Die Longterm Relationships zum Beispiel gibt es doch schon lange: Wechsle deine asiatischen Lieferanten nicht wie die Unterwäsche, sondern behandle sie so gut, dass sie a) lange bei dir bleiben und b) ihren Lohnsklaven einen Living Wage bezahlen können. Nebenbei finanziert sich die gute Behandlung quasi selbst über die Senkung der Risikokosten und über den Imagegewinn. Manchmal antworten Interviewer und Redakteure darauf: „Och, das ist ja uralt. Hätten Sie nicht was Neues?“ Warum? Wenn das Alte bestens funktioniert!

Oder: Digitale Transformation. Scheitert gerade vielerorts. Weil große Teile der verschreckten Belegschaften vor der ehrfurchtgebietenden neuen Technologie in Demutsstarre verfallen. Weil der „Faktor Mensch“ über der tollen neuen Technologie oft sträflich vernachlässigt wird. Jetzt spricht man plötzlich wieder von Trust, Commitment und Relationship Management. Früher hat man gesagt: Halt deine Leute bei Laune! Wieso kam da vorher keiner drauf? Weil Management nicht Mode ist. Das ist schade.

Ich bewundere die Modeleute. Die haben es geschafft, dass heuer Schlaghosen und Insektenbrillen in zeitgemäßer Façon wieder in sind – also neue Varianten von Trends aus den 70ern. Im Management scheint uns dieses Upcycling selten zu gelingen. Ständig fordert das Management „neue Lösungen“ und „innovative Konzepte“ und wundert sich, dass zu wenig Neues kommt. Oft höre ich den Vorwurf: „Ihnen fällt auch nichts Neues ein!“ Was, wenn ich darauf stolz sein müsste? Wenn wir nicht (nur) Amazon, Google oder Tesla benchmarken sollten, sondern erst einmal Armani, Versace und Tom Ford? Was ist deren oberste Maxime?

„Schau, was es schon gibt und überleg dir, mit welchem Twist es wo reinpasst!“ Die guten alten Sachen (Methoden, nicht Technologien!) wieder trendfähig zu machen – das geht dem internationalen Management ab (Sie dürfen mich ruhig vom Gegenteil überzeugen). Wenn ich mit Trainern, Coaches, Personal- und Organisationsentwicklern rede, ist es genau das, was sie über Führungskräfte sagen: „Die haben sämtliche Management-Moden rezipiert – aber nicht adaptiert. Die kennen alles. Aber sie können nicht sagen, was wann wo draufpasst!“ Das nennt man Selektion und Adaption. Kennen Sie ein Management Development-Programm, das diese beiden Kernkompetenzen der Erfolgslehre unterrichtet, nein, trainiert? Ich würde mich ja freuen …

Und, jede Wette: Das gilt nicht nur fürs Management, sondern für jedes Problem, jede Aufgabe und Herausforderung in Gesellschaft, Familie, Beziehung, Privatleben, Erziehung, Schule oder Beruf. Such nicht nach der Wunderkur, nach The Magic Bullet, nach The New New Thing. Denn: Es ist alles schon da! Der Stein der Weisen wurde schon längst gefunden – wir haben ihn bloß verlegt. Weil wir ständig nach Neuem suchen, nach der bahnbrechenden Innovation, dem endgültigen Paradigmenwechsel, dem definitiven Quantensprung.

Wir beklagen uns doch ständig: „Alles schon mal dagewesen!“ Das sollte keine Klage sein – das ist das ultimative Problemlösungs- und Erfolgsinstrument. Auf neue Herausforderungen reagieren wir oft nervös, geschockt. Anstatt zu sehen: Das ist nichts Neues! Das hatten wir alles schon mal – gelöst. Das ist eine zentrale Lösungskompetenz: Das Alte im Neuen zu sehen. Aus Alt mach Neu? Aber ganz im Gegenteil: Aus Neu mach Alt! Und die Probleme lösen sich.

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