Vor kurzem noch mutete das Thema reichlich utopisch an. Doch wie vieles in unserer schnelllebigen Zeit gilt auch für die sogenannten Wearables in Logistik und Supply Chain Management: Was gestern noch utopisch war, ist heute The Next Big Thing. Intelligente Kleidung.
Zum Beispiel Electronic Eyewear. Das ist eine Brille, die in die reale Sicht der Dinge allerlei Dateien, Schaubilder und Symbole einblendet und die auch scannen kann. Oder Smart Gloves. Das sind „kluge“ Handschuhe mit eingebautem Barcode-Scanner. Kein Lagerarbeiter muss künftig wie im Lageralltag noch heute üblich immer und immer wieder zum Scanner greifen, wenn er Artikel für eine Sendung zusammenstellt – denn sein Handschuh scannt für ihn. Das spart pro Picking-Vorgang einige Sekunden.
Kumuliert man diese paar Sekunden über alle Picking-Vorgänge aller Lagerarbeiter, kommt eine astronomische Zeit- und damit Kostenersparnis nebst ähnlich imposanter Effizienzsteigerung heraus, die erklärt, warum der Markt für Wearables sich in diesen Tagen von der Prototypen-Phase zur Implementierungsphase beschleunigt. 2015 wurden weltweit 2,3 Millionen Einheiten dieser smarten Kleidungsstücke verkauft. Im Jahr 2021 werden rund 66 Millionen erwartet. Allein in den nächsten fünf Jahren rechnen die Experten mit knapp 170 Millionen verkauften Einheiten. Warum?
Weil Wearables viel Zeit und damit Kosten und natürlich auch viel menschliche Anstrengung sparen. Sobald die Lagerarbeiterin zum Beispiel auf einen Regalplatz schaut, scannt ihre smarte Brille diesen und sagt ihr im Sekundenbruchteil, ob es der richtige Artikel für ihre aktuelle Sendung ist. Selbst dann muss die Arbeiterin den Artikel nicht auf ihrem Handgerät zum Versand freigeben oder dem richtigen Kunden zuordnen. Sie muss dafür keinen Finger krumm machen, sondern ihre Gedanken nur laut aussprechen: Voice Control veranlasst alles weitere.
Danach muss die Arbeiterin nicht erst in ihren Unterlagen kramen. Denn ihre Brille sagt ihr auch, welcher Vorgang als nächstes ansteht und vor allem, wann er erledigt sein sollte. Die Brille warnt darüber hinaus vor eventuellen Lieferengpässen und informiert über den Status von Bestellungen. Man muss nicht mehr auf dem Handgerät herumtippen, man muss nicht mehr zum Scanner greifen, die Effizienz steigt und die Transparenz. Auf der andern Seite kosten Wearables natürlich. Lohnt sich die Anschaffung?
Pilotprojekte zeigen, dass durch den Einsatz von Wearables die Effizienz um bis zu 25 Prozent steigt, bei nahezu hundertprozentiger Picking-Genauigkeit: Unternehmen können noch schneller ausliefern, zu noch einmal gesenkten Kosten. Jeder Lagerarbeiter kann jeden Tag noch mehr Artikel und Sendungen raushauen. In Zeiten des boomenden E-Commerce ein willkommener Vorteil.
Natürlich sind wir es inzwischen gewohnt, hinter mancher Effizienzsteigerung des technischen Fortschritts eine Zusatzbelastung für Mitarbeiter zu argwöhnen. Das ist hier anders: Wenn ich nicht jeden Tag immer und immer wieder zum Scanner greifen, scannen und den Scanner wieder an den Gürtel stecken muss und wenn mir darüber hinaus meine Brille sagt, was wo steht und gemacht werden muss, damit ich meinen Job gut mache – dann entlastet mich das schon nachhaltig. Experten weisen deshalb darauf hin, dass stressbedingte Arbeitsunfälle durch den Einsatz von Wearables zurückgehen werden. In Zeiten der grassierenden Burnout-Epidemie ist das eine gute Nachricht.
Die Arbeit in der Logistik wird dadurch vielleicht nicht zum Zuckerschlecken. Doch einige repetitive Stressfaktoren reduzieren oder eliminieren Wearables schon. Natürlich werden einige Manager das zum Anlass nehmen, die Anforderungen an ihre Mitarbeiter noch heftiger in die Höhe zu drehen. Nach dem Motto: „Wenn ihr schon mit Scanner X Picks in der Stunde schafft, dann schafft ihr mit Glove und Eyewear doch glatt das Doppelte!“
Es wird viel vom technischen Fortschritt geredet. Vom Fortschritt von Anstand und Würde am Arbeitsplatz hört man dagegen selten. Ich hoffe, dass möglichst viele Führungskräfte den technischen Fortschritt als Chance begreifen und nutzen, auch den andern Fortschritt voranzutreiben.
Ein Kommentar zu „Kluge Kleider“