Ein heikles Thema. Im Kinofilm ist der Maschinenmensch meist der Schurke. Bei „Star Trek“ heißt ein ganzes Volk so: die bösen Borg. Der Begriff „Cyborg“ ist negativ behaftet.
Dabei bezeichnet er lediglich etwas im Grunde rein Sachliches: die teilweise Verschmelzung von Mensch und Maschine. Der Cyborg in Disneys „Schatzplanet“ hat zum Beispiel einen künstlichen Arm, der vom Schneebesen bis zum Wagenheber alles an Technik beinhaltet, was ein Mensch jemals an Gerätschaften fürs tägliche Leben braucht: sehr praktisch, sehr nützlich. Bislang lediglich im Film zu haben. Doch das reale Leben imitiert die Kunst.
Eine erstaunlich große Anzahl von Menschen lässt sich bereits maschinell verbessern. Zum Beispiel mit eingepflanztem Chip, der die Visitenkarte oder die Stempelkarte bei der Arbeitszeiterfassung ersetzt. Man muss dann nur mit der Chip-Hand dem Sensor winken und schon ist man berührungslos eingestempelt, vorgestellt oder es öffnet sich einem „wie von Geisterhand“ die eigene, smarte Haustür. Bekannt ist auch ein Mensch, der sich eine Antenne in den Kopf einsetzen ließ: Sein ganzes Leben lang war er farbenblind. Dank eingebauter Antenne kann er jetzt erkennen, ob die Jeans schwarz oder blau ist, die er kauft. Ein anderer Mensch, offensichtlich passionierter Wanderer, hat sich einen Kompass ins Bein implantieren lassen. Und natürlich scheinen nicht nur Teenager mit ihren In-Ear-Kopfhörern „verwachsen“ zu sein. Es gibt tatsächlich Zeitgenossen, die sich den Kopfhörer ins Ohr haben „einbauen“ lassen. Als Sonderfertigung. Im Massenmarkt ist sowas (noch) nicht zu haben.
Ein anderer hat sich ein wiederaufladbares Bus-Ticket einpflanzen lassen. Technisch kein Problem, rechtlich wird darum gerade gestritten: Geht das? Ist das gültig? Ist das rechtens? Denken wir den Gedanken weiter.
Denken wir an den Worst Case: Organe versagen und werden nicht durch Spender-Organe ersetzt, sondern durch künstliche, mechanische oder synthetische. Für die Betroffenen ist das wahrlich ein Segen. Jene, die nicht davon betroffen sind, befürchten: Zwei künstliche Kniegelenke, zwei künstliche Hüften, Hintern aufgepolstert, Implantate in der Brust, Hörgerät implantiert, Antenne im Kopf – ist das noch ein Mensch? Oder schon ein Cyborg? Und wenn ja, gelten für ihn („es“?) dann keine Menschen-, sondern Maschinenrechte? Anstatt ein Recht auf Leben dann das Recht auf vollständige Abschreibung, Verbrauch der Verschleißreserve und nachhaltige Entsorgung der noch brauchbaren Teile auf dem Ersatzteilemarkt?
Diesem Zynismus können die Befürworter der Bewegung nichts abgewöhnen. Sie sagen: Herzschrittmacher, künstliche Gelenke, Implantate, Hörgeräte – wir haben uns doch schon immer mit Technik beholfen! Aber wo liegt die Grenze? An welcher Stelle halten wir ein mit der Selbstoptimierung? Und müssen wir dann nicht eine gesellschaftliche Trennung vornehmen? Zum Beispiel: Die Olympiade für „normale“, natürliche, biologisch abbaubare Menschen und eine Cyborg-Olympiade für „Enhanced Humans“.
Außerdem: Warum sollten wir uns selbst vorenthalten, was wir unserem Bello oder der Hauskatze längst zugestehen? 80 Prozent der Haustiere sind gechipt; sehr praktisch bei der Katzenklappe. Die Klappe erkennt am Chip, ob meine Katze Einlass begehrt oder ob eine fremde Katze sich in meiner Küche durchfuttern möchte; Chip im Ohr sei Dank. Was für den besten Freund des Menschen richtig ist, kann doch für den Menschen selbst nicht falsch sein.
Wenn jemand dank künstlichem Hüftgelenk wieder schmerzfrei oder überhaupt laufen kann – wer würde es ihm oder ihr versagen wollen? Oder nehmen wir das Exoskelett; ein außenliegendes, maschinelles Skelett, mit dem Menschen nach Schlaganfall oder bei Lähmung wieder laufen und sich bewegen können. Oder mit dem sie im Auslieferungslager große Lasten heben und transportieren können, die ihnen vorher auf Dauer das Kreuz kaputt gemacht hätten und haben. Das ist doch eine gute Sache!
Wenn das kein Mensch mehr sein soll, der da wie ein Roboter daherkommt, wie menschlich wäre es dann umgekehrt, dem schwer schuftenden Lagerarbeiter oder dem ans Bett gefesselten Gelähmten ein Exoskelett vorzuenthalten? Was ein Mensch ist und was nicht, wird doch nicht durch eine Anzahl Servomotoren und drei Kilo Mechanik definiert, sondern durch sein Bewusstsein, durch das menschliche Bewusstsein. Leider ist das auch keine gute Definition.
Denn bislang werden nur unsere Smartphones durch den Einsatz von KI, von Künstlicher Intelligenz, intelligenter – die Werbung wirbt derzeit intensiv damit. Was, wenn der smarte Chip nicht mehr nur im Handy steckt, sondern im Kopf? Wenn wir unseren IQ damit glatt verdoppeln? Niemand kann behaupten, dass dieses Intelligenz-Upgrade das menschliche Bewusstsein nicht beeinflussen würde. Und das, was damit beeinflusst wird – wäre das dann noch ein Mensch? Oder eben schon ein Cyborg? Und darf das dann noch Kinder großziehen und Menschen heiraten?
Oder dürfen dann nur noch gechipte Cyborgs Kinder großziehen und eine Ehe eingehen, weil sie es dank überlegener, gechipter Intelligenz so viel besser können als wir normalen Menschen?
Zwei asiatische Firmen haben ein Patent angemeldet für eine Kontaktlinse, mit der wir fotografieren können, indem wir auf eine bestimmte Art blinzeln. Ich blinzle, mein Linse knipst und überspielt das Bild auf mein Handy oder Notebook. Das ist doch mal was Praktisches! Macht mich das zum Cyborg?
Wenn, was Gott verhüten möge, mein Knie von der Arthrose verstopft ist, dann ist die letzte Lösung ein künstliches Gelenk. Damit ich wieder schmerzfrei laufen kann. Wenn es bald Gelenkmechanismen gibt, mit denen ich nicht nur schmerzfrei, sondern viel länger und schneller laufen kann als mit meinem natürlichen, biologischen Gelenk und ich sie mir nur deshalb einbauen lasse, dann ist das nicht gesund, sondern der galoppierende Optimierungswahn. Das sollte man verbieten?
Dann müssten wir auch Kaffee verbieten. Denn eigentlich könnten wir auch gut und gerne ohne das Tässchen nach dem Mittagessen – aber mit Koffein arbeiten wir einfach besser: Selbstoptimierung. Wollen wir das verbieten?
Ganz bestimmt löst sich das Problem wie so oft automatisch: Die Cyborg-Technologie schreitet immer weiter voran und einige Menschen werden was an sich machen lassen, die anderen nicht. Fragt sich dann nur, wie ich als Mensch mit relativ wenigen künstlichen Ersatz- und Maschinenteilen dann in Familie, Verwandtschaft und Firma mit KollegInnen, Vorgesetzten, Familienmitgliedern und KundInnen umgehen soll, die mir mit dem Tele-Objektiv im Auge und dem Chip im Hirn gegenübersitzen und mir mit dem hydropneumatischen Roboterarm mit zwei Tonnen Tragkraft Kaffee nachschenken. Dass es hier im wahrsten Sinne des Wortes zu Berührungsängsten bis hin zur Spaltung der Gesellschaft und Glaubenskriegen kommen kann, scheint abgemacht. Schöne neue Cyborg-Welt.
Die Linse, welche Fotos macht und aufs Handy überträgt, da würde ich noch mitgehen, sowie bei einem neuen Gelenk, wenn das vorhandene nicht mehr, oder nur mit Schmerzen, funktionsfähig ist, ebenso. Alles andere darüber muss jeder noch einige Gedanken verschwenden.
Lieber Herr Trebing!
Da treffen Sie den Nagel auf den Kopf! Niemand sollte bei „Ersatzteilen“, die über den nötigen Ersatz hinausgehen, einfach der Mode folgen und einbauen lassen, was bald technisch machbar ist. Vielmehr sollten wir, wie Sie anregen, uns erst einmal Gedanken darüber machen, womit wir noch Mensch bleiben und womit wir bereits eine halbe Maschine wären.
Mit besten Grüßen,
Evi Hartmann