Scrum

Was sich wie ein Vertipper liest, ist tatsächlich das Schlagwort unserer Tage: Scrum (gesprochen: Skram). Genauer: Es ist das Instrument zum Schlagwort.

Alle reden gerade von Agilität und dass man „agile“ (in der Regel Englisch ausgesprochen: ätschail) sein müsse, wenn man die disruptiven Zeiten der Digitalen Revolution überleben wolle. Es gibt mehrere Instrumente der Agilität: Kanban, Design Thinking, Lean Start-up. Doch Scrum ist das bekannteste. Seinen Namen hat es ausgerechnet vom Rugby entlehnt.

Scrum ist beim Rugby das Gedränge, bei dem alle Spieler, auch die des Gegners, sich zusammendrängen, die Köpfe zusammenstecken – von außen sieht man als Zuschauer oft noch nicht einmal den Ball. Aber so sieht das auch oft im Arbeitsleben und insbesondere bei Projekten aus: alles durcheinander, total chaotisch. Und doch findet (beim Rugby) ein kleines Team schnell eine Lösung, sprich einen Spielzug für die aktuelle Spielsituation und zieht ihn durch. Blitzschnell, hoch wirksam und perfekt an die akute Situation angepasst: Das ideale Vorbild für unser hoch komplexes Wirtschaftsleben, in dem Konzerne so langsam geworden sind, dass lebenswichtige Projekte Jahre dauern und meist schon veraltet sind, wenn sie endlich ans Ziel gelangen.

Weil dieses Problem bei der Software-Entwicklung besonders gravierend auftrat, wendeten Software-Entwickler als erste Scrum an – und das so erfolgreich, dass inzwischen führende Unternehmen aller Branchen damit arbeiten. Der herausragende Unterschied zwischen Scrum und dem damals üblichen Vorgehen war: Die Software-Unternehmen verordneten nicht mehr von oben herab, wie eine neue Software auszusehen habe, während die Projektteams dann oft jahrelang mehr oder weniger erfolglos versuchten, den illusorischen Vorgaben nachzukommen. Mit der Rugby-Metapher gesprochen: Nicht mehr der Trainer brüllte vom Spielfeldrand rein, was das Team zu spielen habe. Sondern die Spieler/Entwickler entwickelten selber Lösungen – eben weil sie am meisten vom Problem verstehen. Als Wirtschaftslaie fragt man sich spontan, warum das Management eine neue Methode braucht, um jene Leute entscheiden zu lassen, die am meisten Ahnung haben. Doch genau das ist der Fluch der Hierarchie: Entscheidungen werden „von denen da oben“ getroffen und zwar gewohnheitsmäßig – und nicht, weil es im konkreten Fall zur besten Entscheidung führt.

Ein zweites Charakteristikum von Scrum: Die Methode berücksichtigt, dass viele komplexe Projekte eben nicht bis zum Endziel vorhersehbar sind. Also ist ein herkömmlicher Projektplan, der die Arbeitspakete und Meilensteine vom Start bis zum Ziel in Wochenabschnitten vorausplant, von vorne herein Makulatur: Haut zum Beispiel ein Arbeitspaket auf dem kritischen Pfad nicht wie vorgesehen hin, ist der gesamte Plan futsch. Also plant man bei Scrum eben nicht erst wochenlang von vorne bis hinten durch, sondern man plant in sogenannten Inkrementen: Schritt für Schritt – was ebenfalls jedem vernünftigen Menschen sofort einleuchtet. Und sobald so ein Inkrement, so ein Zwischenziel erreicht wird, stellt man den Bezug zum Endziel her und fragt das Team: Was fehlt zum letztendlichen Ziel? Was brauchen wir noch?

Mit dieser Vorgehensweise sind Projekte sehr viel schneller und auch erfolgreicher, als wenn man erst monatelang alles von vorne herein zu planen versucht, was sich schon nach wenigen Monaten als realitätsfern herausstellt.

Ein dritter Unterschied zwischen Scrum und der üblichen Vorgehensweise: Scrum denkt vom Kunden aus. Auch hier reagiert der Laie amüsiert: Sollte das nicht selbstverständlich sein? Die Frage ist berechtigt, doch die Antwort liegt auf der Hand: Ganz offensichtlich ist es nicht selbstverständlich angesichts der vielen Projekte, Produkte und Services, die jährlich in die Tonne getreten und vom Markt genommen werden müssen, weil sie teilweise oder komplett am Endnutzer vorbei konzipiert und entwickelt wurden. Experten entwickeln Produkte – nicht Nutzer. Bisher.

Eben weil das hanebüchen ist, definiert Scrum einen sogenannten Product Owner, sozusagen einen Anwalt des Endnutzers. Er versetzt sich in die Rolle des Endanwenders und fragt sich ständig: Was braucht das aktuelle Inkrement noch, damit der Endkunde zufrieden ist? Allein deshalb ist Scrum nicht nur schneller als die herkömmliche Vorgehensweise, sondern auch viel kundenorientierter und damit erfolgreicher. Dafür sorgt auch der Scrum Master.

Der Scrum Master ist nicht etwa der Teamleiter. Nein, der Scrum Master arbeitet zwar mit den Scrum Teams zusammen, gehört aber selber nicht zum Team. Er ist vielmehr der Schutzpatron der Teams: Er sorgt dafür, dass die Scrum-Regeln eingehalten werden und dass zum Beispiel mächtige Bereichsfürsten die Teams nicht mit Linienarbeit überlasten. Das fehlt im herkömmlichen Projektmanagement, bei dem die Linie jederzeit Kapazitäten aus den Projektteams abziehen kann, wenn die Linie Leute braucht, um Aufträge abzuarbeiten.

Und ein letztes Unterscheidungsmerkmal: Scrum arbeitet mit einer User Story. Wenn früher ein Projekt startete, gab es ein Pflichtenheft mit Vorgaben wie: „Wir entwickeln ein neues E-Bike für unter 1.000 Euro.“ Technisch ist das kein Problem. Aber kauft der Kunde das nachher? Das konnte auch die Marktforschung nicht hinreichend beantworten. Nicht, weil der Markt unberechenbar wäre. Sondern weil technisch machbare Vorgaben eben nichts darüber sagen, ob der Kunde kauft oder nicht. Genau das behebt die User Story, die eine Art Geschichte in der Umgangssprache imaginärer, aber realistischer KundInnen ist, zum Beispiel: „Als 30-jährige Angestellte und Fahrrad-Pendlerin möchte ich bei 15 km Anfahrt unverschwitzt und blütenfrisch im Büro ankommen!“ Dann muss sich der Entwickler überlegen: Bei wieviel Drehmoment des E-Motors, wieviel Akku-Leistung und welcher maximalen Steigung von X Prozent auf dem Fahrweg erreichen wir dieses Ziel? Bei dieser Überlegung kommt etwas ganz anderes heraus als beim üblichen Ansatz. Nämlich ein Rad, das sich verkauft, weil es vom Endnutzer – und nicht nur vom Experten – geschätzt wird.

So gesehen macht Scrum Projekte, neue Produkte und Services nicht nur schneller und erfolgreicher, sondern auch nachhaltiger: Je weniger am Endkunden vorbei entwickelt wird, desto weniger neue Produkte wandern auf die Müllkippe.

3 Kommentare zu „Scrum

    1. Danke für die Blumen, lieber Christian! Genau das war beabsichtigt: Wer bei Google „Scrum“ eingibt, erntet 40 Millionen Hits und man muss mindestens die Hälfte davon gelesen haben, um aus der Masse der widersprüchlichen, hoch komplexen und mit Jargon versetzten Einträge etwas herauszufiltern, das im Alltagsgebrauch verständlich ist. Schön, wenn das Ihrer Meinung nach gelungen ist. Ist mir Lob und Ansporn.

  1. Hmm, das klingt wirklich sehr vernünftig.

    Hoffentlich findet das Verfahren weitgehend Akzeptanz und setzt sich dann zügig durch.

Kommentare sind geschlossen.