Dörfer ohne Namen

Alles, was wir normalerweise so brauchen, können wir auch online kaufen. Wir. Hier. Aber wie ist das in Afrika? Haben sie dort auch Amazon?

Haben sie. Doch das größte Online-Warenhaus dort ist nicht Amazon, sondern Jumia. Eine Online-Plattform, bei der man nicht nur einkaufen, sondern unter anderem auch Hotels buchen und Preise vergleichen kann. Außerdem hat Jumia einen eigenen Zahlungsdienst – und fünf Millionen Kunden auf dem ganzen afrikanischen Kontinent.

Damit ist Jumia eine ähnliche Internet-Erfolgsgeschichte wie Alibaba in China. Vom Tellerwäscher zum Millionär funktioniert in der alten, analogen Wirtschaft nicht mehr so gut und häufig – doch im Internet kommt das oft vor: vom Startup zum Großkonzern. Wobei Jumia nicht gerade in der Garage startete.

Im Gegenteil. Investoren schossen bis heute rund 400 Millionen US-Dollar vor. Investoren wie Rocket Internet, Axa, der Versicherungskonzern, oder auch die Investment-Banker von Goldman Sachs. Im ersten Quartal dieses Jahres machte Jumia einen Umsatz von 151 Millionen Euro. Das ist ein Anstieg um rund 71 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Warum?

Wie kann das so schnell wachsen? Unter anderem deshalb, weil in Afrika der Anteil junger Menschen an der Bevölkerung relativ hoch ist. Ganz im Gegensatz zu uns, die wir mit einer auf den Kopf gestürzten Alterspyramide leben. Und von den Jungen hat natürlich (fast) jeder ein Smartphone und bestellt damit auch online. Die technologische Adaption erfolgt in jungen Jahren einfach schneller. Experten schätzen, dass das Online-Marktpotenzial in Afrika bis 2025 auf 75 Milliarden US-Dollar steigen wird. Zum Vergleich: Das Marktpotenzial ganz Europas wird für denselben Zeitraum auf 345 Milliarden geschätzt. Dass in Afrika so viel online gekauft wird, ist trotzdem erstaunlich.

Denn drei Viertel der Bevölkerung nutzen noch überhaupt kein Internet. Das ist eine aktuelle Hürde für den Online-Handel und eine große Chance auf immenses Wachstum in der Zukunft. Dasselbe trifft auf die schwache Infrastruktur zu: Asphaltstraßen gibt es bislang nur in den Großstädten. Auf dem flachen Lande bewegt man sich noch in großen Teilen auf Pisten und unbefestigten Wegen. Und dann ist da noch der Schwund.

So bezeichnet das die Buchhaltung. Wir würden schlicht Diebstahl dazu sagen: Es kommt halt viel weg bei der Auslieferung. Private Paketdienste und Spediteure arbeiten oft nicht wirklich zuverlässig. Besonders schöne oder teure Lieferungen behalten die weniger betuchten Mitarbeiter des Liefer-Service oft selber ein. Deshalb hat Amazon vor Jahren seine Auslieferung kurzzeitig stoppen müssen. Jumia hat das Problem ganz gut im Griff – was das Warenhaus zum idealen Übernahme-Kandidaten für Amazon macht.  Oder für Alibaba. Wenn die Jumia-Investoren sich auszahlen lassen. So werden die neuen großen Internet-Handelshäuser selbst Gegenstand des Handels.

Der interessanteste Teil des afrikanischen Online-Handels findet dabei nicht online, sondern auf den Straßen statt – sofern vorhanden. Das Straßennetz im Hinterland ist kaum ausgebaut. Selbst wenn es mehr und bessere Straßen gäbe: Viele Siedlungen, Dörfer und Gemeinden im Hinterland haben keine Namen. Wie will man ein Paket ausliefern, wenn der Besteller und Empfänger keine Adresse hat? Mit GPS-Koordinaten? Mit Hinweisen auf landschaftlich markante Punkte? In den großen Städten wiederum wird so dicht gebaut, dass Autos für die Auslieferung ungeeignet sind. Da kommt der Paketbote mit dem Motorrad.

Aus diesen Gründen ist der Online-Handel in Afrika, trotz des rasanten Wachstums, hauptsächlich noch auf die Städte beschränkt. Im Hinterland geht man weiterhin für den Einkauf zum stationären Handel oder auf den Markt. Denn der Markt braucht keine Adresse.

Ob es sinnvoll ist, dass Afrika unsere Konsumgewohnheiten übernimmt, steht auf einem anderen Blatt. Wird alles nur noch online bestellt, geht der stationäre Handel nicht nur als Wirtschaftsfaktor, sondern auch als Ort des sozialen Austauschs und der Bindung an die eigene Gemeinde verloren. Wobei bei uns hierzulande sozialer Austausch und Bindung auch schon lange vor dem Verschwinden des traditionellen Einzelhandels litten. Vielleicht meinen die Zeitkritiker das, wenn sie von der Ökonomisierung unserer Gesellschaft reden: Wir kaufen, konsumieren und bestellen, als ob unser Leben davon abhinge (das tut es, zumindest unsere Identität und unser Status). Was die Art und Weise unseres Konsums jedoch mit unseren Gemeinden, der sozialen Bindung und unserem Engagement für beides anstellt, darüber denken wir so gut wie nie nach. Sollten wir aber. Bevor uns die unerwünschten Nebenwirkungen des ungezügelten Konsums vor Konsequenzen stellen, die wir nicht zu tragen bereit noch in der Lage sind.

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