In der Stadt ist die Hölle los!

Das klingt dramatisch? Dann nennen wir das Ganze doch etwas weniger dramatisch: Urbane Logistik. Ein toller Euphemismus für den Paket-Tsunami, den wir mit unserer Online-Bestellwut ausgelöst haben. Resultat: Die innerstädtischen Verkehrswege sind in vielen Städten und Stadtvierteln völlig überlastet. Doch wir wären nicht in Deutschland, wenn nicht selbst das Chaos streng statistisch erfasst würde.

So ist nicht nur die reine Masse der Lieferungen in der Stadt das Übel, sondern auch deren Verteilung über den Tag: Bis zu 70 Prozent der städtischen Versorgungsverkehre sind zwischen acht Uhr morgens und zwölf Uhr mittags unterwegs. Auch die Folge dessen wurde quantitativ erfasst: Wegen der allgegenwärtigen Flotte der Kleinlaster und anderer Versorgungsfahrzeuge reduziert sich unsere Durchschnittsgeschwindigkeit in der Stadt um 20 bis 30 Prozent. Wenn Sie sich also das nächste Mal nervenzerfetzend langsam mit 35 bis 40 km/h durch die Stadt quälen, wissen Sie wenigstens jetzt, warum.

Viele Städte greifen zur Notwehr und verordnen Zufahrtsbeschränkungen und Lieferrestriktionen: In derart beruhigte Zonen darf dann kein Diesel rein – aber zum Beispiel das Lastenrad. Nicht zuletzt wegen der Dieselkrise, sprich der Stickoxidbelastung. Die deutsche Lieferverkehrsflotte besteht nämlich noch fast ausschließlich aus Diesellastern. Was schätzen Sie? Immerhin zu 95 Prozent. Einige Lieferlaster fahren mit Flüssig- oder Erdgas, machen aber nur 1 Prozent der Flotte aus. Bei den E-Transportern (mit weniger als 12 Tonnen Nutzlast) sieht es noch übler aus: Sie stellen lediglich 0,4 Prozent. Rund 4 Prozent Benziner sind auch noch unterwegs. Die relativen Zahlen sind ziemlich deprimierend.

Da muntern einen die absoluten Zahlen etwas auf: Letztes Jahr wurden 6.500 Nutzfahrzeuge mit emissions- und lärmfreiem Elektroantrieb neu zugelassen. 60 Prozent davon macht der StreetScooter der Deutschen Post aus, der inzwischen auch von anderen Unternehmen in Dienst genommen wurde. Gutes setzt sich durch. Aber hat es auch einen Effekt?

Denn so sauber die Lieferlaster unterwegs sind: Nur elf Prozent der Stickoxidbelastung deutscher Städte wird von Diesel-LKW verursacht. Diesel-PKW machen dagegen 72 Prozent aus. Schwere Nutzfahrzeuge, Busse und übrige Verbrennungsmotoren liefern den Rest. Deshalb (be)treffen Fahrverbote vor allem Diesel-PKW. Mit gutem Grund.

Denn in 37 deutschen Städten werden die NOx-Grenzwerte leider regelmäßig überschritten. Deshalb hat die Deutsche Umwelthilfe 18 Städte verklagt, größtenteils mit Erfolg: Die fälligen Fahrverbote sind inzwischen erlassen worden. Die Städte wehren sich aber auch anders: mit Geschwindigkeitsbegrenzungen, Erneuerung der Busflotte oder mehr Hybridfahrzeugen im kommunalen Fuhrpark.

Ein weiterer Brennpunkt Urbaner Logistik ist der Lärmschutz. Die NRW-Landesregierung fragte ihre Bürger: Welcher Lärm stört Sie am meisten? Was tippen Sie?

Auf Platz 1 landet der Verkehrslärm. Auf Platz 2 – Sie kommen nie drauf, obwohl es eigentlich völlig logisch ist – der Lärm vom Nachbarn. Dahinter die Geräuschemissionen von Industrie und Gewerbe und auf Platz 4 dann Zug und Schienenverkehr. Im ganzen Bundesgebiet leiden drei Millionen Menschen nachts unter gesundheitsschädlichem Straßenlärm (über 55 Dezibel).

Verstopfte Innenstädte, vergiftete Luft, Lärm und Stau – wie geht die Urbane Logistik mit diesen Herausforderungen um? Zum Beispiel mit Pilotprojekten. Aktuell laufen 41 Pilotprojekte in Deutschland rund ums E-Lastenrad. 37 Projekte erproben den Einsatz von E-LKW. Zwölf testen die autonome Zustellung zum Beispiel mit Paketrobotern oder Drohnen.

Innovative Konzepte schaffen den Lieferverkehr mit fertigen Produkten ganz ab, indem sie die Fabrik ins Wohnzimmer bringen: 3D-Druck macht’s möglich. Andere Logistikdienstleister stellen einzelne Strecken auf Nachtlogistik um. Nicht für die Belieferung von Endkunden, sondern für die Anlieferung an Verteilzentren. Denn nachts sind die Straßen frei.

Alle klagen immer nur, meist medial oder politisch inszeniert, über die schlechte Luft und den Lärm in deutschen Städten. Dass außerhalb drakonischer und (für die Fahrer von Diesel-PKW) unfairer Fahrverbote auch mächtig was gegen dicke Luft und Lärm unternommen wird – darüber redet kaum einer. Aber wir.