Wenn ich mir neue Klamotten im Internet bestelle – wo liegt das Problem? Einmal von der damit verbundenen unvermeidlichen Klimaschädigung und dem Einzelhandelssterben in den Innenstädten abgesehen: auf der letzten Meile. Die letzte Meile stellt zwar in der Regel die kleinste Wegstrecke einer Paketsendung dar, verursacht dafür aber die größten Kosten. Und sie mitverursacht die urbane Verkehrsverstopfung.
Denn einen Schiffscontainer mit Klamotten tausende von Seemeilen übers Meer zu schicken ist pro T-Shirt oder Jeans sehr viel billiger als Flotten von zigtausenden Kleinlastern durch unsere Städte zu jagen. Tausende von Seemeilen machen weniger Ärger als die letzte Meile vor der Haustür des Bestellers. Deshalb tüfteln Entwickler und Logistikdienstleister seit Jahren an der Lösung des Problems der letzten Meile. Große Hoffnungen setzen sie aufs autonome Fahren: Ohne Lieferfahrer käme die letzte Meile sehr viel günstiger. Das würde Millionen Paketkutscher auf der ganzen Welt arbeitslos machen?
Ja, doch das ist paradoxerweise nicht das ausschlaggebende Argument. Denn diese vermeintliche Lösung des Problems der letzten Meile hat sich inzwischen selbst als Problem herausgestellt: Bei der letzten Meile wurden die letzten Meter übersehen.
Das hat der Autohersteller Ford in einem gemeinsamen Feldversuch mit der Pizza-Kette „Domino’s“ jüngst leidvoll herausgefunden. Zwar sind autonom fahrende Lieferwagen heutzutage schon pilotreif, in etwa fünf Jahren massentauglich und vielleicht in zehn Jahren dann auch von den Behörden genehmigt und geregelt (Technologie entwickelt sich schneller als Bürokratie). Doch wer bringt die Pizza an die Haustür und klingelt, wenn der Lieferwagen keinen Fahrer hat?
Die Frage kann unmöglich ernst gemeint sein? Weil kein Pizza-Liebhaber so faul sein kann, dass er die Pizza nicht selber am Lieferfahrzeug abholt? Das dachten sich Ford und Domino’s wohl auch, als sie den Feldversuch mit den autonomen Pizza-Lieferfahrzeugen starteten. Die Besteller gingen zwar raus zum Lieferfahrzeug, doch in der nachträglichen Befragung sagten zu viele von ihnen Dinge wie: „Ich habe nichts dagegen, wenn die Pizza autonom geliefert wird. Aber dass ich sie dann selber am Fahrzeug abholen muss? Das will ich lieber nicht.“ Einmal davon abgesehen, dass dies der Gipfel der Bequemlichkeit sein muss: Endlich haben wir eine Domäne der digitalen Wirtschaft gefunden, in der Maschinen, Roboter und KI’s den Menschen nicht ersetzen können. Der Pizza-Bote ist unersetzlich!
Wobei: Der Pizza-Bote mag zwar unersetzlich sein, aber nicht der Mensch. Denn aufgrund der Nachbefragung hatte Ford eine zündende Idee angesichts des Debakels vor der Haustür: Das Pizza-Auto ist da, die Pizza wird kalt und die Leute kommen nicht aus dem Haus? Das ist nicht nur typisch Couch-Potato, das verzögert auch die Belieferung aller nachfolgenden Pizza-Besteller auf der jeweiligen Tour unnötig und unverzeihlich. Also setzte Ford in den nachfolgenden Überlegungen auf „Digit“, den kopflosen Lieferroboter (https://www.youtube.com/watch?v=WHWciIxNK2c).
Digit ist zwar kopflos (sehen und navigieren kann er dank ausgefeilter Sensorik natürlich trotzdem). Doch laufen kann er auf zwei Beinen tadellos (im Gegensatz zur Couch-Potato), auch Treppen hoch und runter, auf unebenem Gelände und mit Paketen bis zu 20 kg in den „Händen“. Digit sieht zwar nicht so schnittig aus wie Arnold Schwarzeneggers Cyborg in den Terminator-Filmen – eher so provisorisch zusammengeschraubt wie das muntere Maschinchen im Kino-Hit „Nr. 5 lebt!“. Doch seinen Job als Zuträger erledigt Digit tadellos.
Deshalb möchten seine Väter, die Entwickler von Agility Robotics (eine Ausgründung der Oregon State University) bereits nächstes Jahr rund 100 autonome Lieferfahrzeuge mit ihm ausstatten. Natürlich sitzen in der Roboter-Zentrale dann immer noch Menschen, die das Roboter-Heer überwachen und im Bedarfsfall steuern. Doch für die fernere Zukunft können wir uns darauf einstellen, dass der Roboter an unserer Haus- oder Wohnungstür klingelt (digital, via Handy: „Bestellung ausgeliefert“) und neben Pizza auch unsere massenhaften Internet-Bestellungen abliefert. Wir müssen ihm womöglich dann nicht einmal selber öffnen.
Denn das übernimmt unser Haushalts-Roboter, der die Pizza auch gleich serviert, kalte Getränke dazu reicht, hinterher den Tisch ab- und die Spülmaschine einräumt und den Müll runterbringt. Und selbst der Lieferwagen-Fahrer findet das nicht empörend, sondern außerordentlich rücken- und knieschonend: Er wird frei für sinnvollere, menschlichere, gesündere und anspruchsvollere Aufgaben. Von diesen gibt es schließlich noch genug (irgendwer muss Digit ja auch bauen, warten und reparieren). Vor allem entlang einer Lieferkette, deren Endkunden immer bequemer und anspruchsvoller werden.