Ei auf Rädern

Las Vegas, Januar 2019, mitten in der Nacht, es hat fünf Grad und auf der Straße bewegt sich lautlos ein UFO-ähnliches Ei. Das Ei kommt von Mercedes, heißt Vision Urbanetic, wurde letzten Herbst auf der Nutzfahrzeuge-IAA in Kopenhagen vorgestellt und soll die moderne Mobilität revolutionieren. Denn das Ei ist Laster am Tag und Taxi in der Nacht.

Das Ei reißt die Grenze zwischen Personen- und Güterverkehr ein. So die Vision. Denn bislang ist der Vision Urbanetic eine Mobilitätsstudie, die nur auf dem Werksgelände fahren darf. Weil das rollende Ei fahrerlos fährt. Es ist autonom. Für Vegas hatte es eine Sondergenehmigung.

Und weil in Vegas immer auch nachts was los ist, wunderten sich seine Passagiere nicht schlecht, in ein über zwei Meter hohes Taxi einzusteigen, das sie via App rufen können. Sie hätten sich noch mehr gewundert, wenn sie Zeugen der Ei-Metamorphose am nächsten Morgen geworden wären: In unter fünf Minuten nämlich kann der Urbanetic seine Passagierzelle abwerfen und durch einen Gütertransport-Aufbau ersetzen. Paket-Transporter bei Tag, Taxi in der Nacht.

Angetrieben wird der Urbanetic von einem Elektromotor. Akku und Steuerung befinden sich im Unterbau. Alles was obendrauf kommt, ist auswechselbar. Hinter dem Ei steht die Shared Mobility. Das heißt: Ich muss mir als Privatfrau keinen PKW mehr kaufen und als Spediteurin keinen LKW. Ich share einfach die fahrende Plattform und bestelle mir das jeweils passende Modul obendrauf. Das Modul zu wechseln geht deutlich schneller als manche Zeitgenossen ihre Kleidung wechseln.

Der Sharing-Aspekt sorgt dafür, dass bei gleichbleibender Straßen-Infrastruktur mehr Personen und Güter mit weniger Fahrzeugen transportiert werden können. Denn während der Rush Hour karrt das Ei Menschen durch die Stadt und während diese im Büro oder bei der Arbeit sind, wird das Ei zum Paket-Laster: Wofür früher zwei oder mehr Fahrzeuge nötig waren, ist nur noch eines nötig, das je nach Bedarf seinen Aufbau auswechselt.

In das Aufbau-Modul „People Mover“ passen bis zu 12 Personen. Und das Cargo-Modul fasst bis zu 10 Euro-Paletten mit seiner Länge von etwas über 5 Metern – das entspricht ungefähr der Länge eines „Sprinters“. Was fehlt bei beiden Modulen? Richtig. Die Fahrerkabine.

Der fahrerlose Unterbau kann sogar ohne Aufbau fahren. Das verschafft größere Einsatz-Flexibilität. Zum Beispiel, wenn der Unterbau Materialien zu einer Baustelle transportiert, dort das Güter-Modul abwirft und „nackt“ zum nächsten Bürogebäude fährt, wo das Personen-Modul schon auf ihn wartet, um die Pendler nach Haus zu bringen. Sofern das Netz autonom fahrender Modul-Fahrzeuge nur dicht genug ist, bräuchte keiner von uns mehr einen eigenen PKW. Durch die Kombination von Personen- und Güterverkehr kommt es zur effizienteren Nutzung von Beförderungsleistung; das nennt sich Shared Ride. Und das alles umwelt- und klimafreundlich, emissions- und lautlos – eine wahre Wohltat für geplagte Städte und damit für die urbane Mehrheit der Menschheit.

Denn laut Schätzung von UN-Experten lebten bereits im letzten Jahr 55 Prozent der Weltbevölkerung in Städten, bis 2050 sollen es 68 Prozent sein – bei entsprechender Zunahme vom Smog, Stau, Lärm und Stress. Fahrzeuge wie der Urbanetic produzieren dagegen weniger Staus, keinen Lärm und keine Abgase, außerdem weniger Unfälle. Denn vernetzte Fahrzeuge kollidieren nicht. So könnte der Verkehr der Zukunft aussehen.

Alle fahren, aber niemand muss mehr selber fahren. Die Technik ist beinahe schon so weit – der Gesetzgeber noch nicht. Das Klima lange schon. Die gestressten und vermieften Städter sowieso.

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