Was sollen wir tun?

Der Philosoph Immanuel Kant hat der Menschheit vier zentrale Fragen hinterlassen, deren zweite lautet: Was sollen wir tun? Wenn es um Klima- und Umweltschutz geht, stellen wir diese Frage zu selten.

Da gibt es zum Beispiel das Startup Deliveryport, das mithilfe eines privaten Paketkasten die Lieferungen nach Hause revolutionieren und dadurch den Umweltschutz stärken möchte. Dieser funktioniert wie der private Briefkasten am Haus – bloß für Pakete und davon jede Menge. Denn der Paketkasten bietet so viel Platz, dass sogar ganze Getränkekisten und mehr darin eingestellt werden können. Außerdem verfügt er über ein Kühl- und ein Tiefkühlfach und ist damit quasi ein kombinierter Küchen- und Kühlschrank außen am oder vor dem Haus, in den alle benötigten Lebensmittel angeliefert werden können.  Der Nutzen für uns manische Online-Käufer liegt auf der Hand.

Niemand muss mehr für den Empfang einer Online-Bestellung zu Hause sein oder die Nachbarn damit beauftragen oder zur Paketdienst-Agentur gehen. Gleichzeitig helfen solche Paketkasten-Konzepte den Logistikdienstleistern, dem Klima und der Umwelt: Wie oft klingen Paketboten vergebens an Türen? Und kommen wieder? Und wieder? Und vergeuden dabei Diesel oder Strom für nichts und wieder nichts? Jeder vergebliche Anlieferungsversuch ist einer zu viel. Der Paketkasten macht Schluss damit. Er ist 24/7 empfangsbereit – ganz gleich, wo sich der Empfänger (oder seine Nachbarn) gerade befinden. Das schont die Umwelt, das Klima und die Energiereserven der Erde und garantiert schnellstmögliche und einfachste Belieferung. Und das ist nur der Anfang.

Was, wenn wir das Konzept ausbauen? Und nicht nur unsere Einkäufe beim örtlichen Discounter und Supermarkt an den Paketkasten liefern, sondern jegliche Art von Online-Bestellungen? Dann müsste ich für solche Besorgungen nicht auch noch Benzin/Strom verfahren und Klima und Luft belasten. Wir retten das Klima und die Umwelt! Was für eine tolle Idee. Echt jetzt?

Nicht wirklich. Denn wir übersehen dabei noch jemanden, der täglich auf dem Weg von der Arbeit nach Hause am Discounter oder Supermarkt vorbeifährt: Millionen von MitbürgerInnen, für die der Laden ohnehin auf dem Weg nach Hause liegt. Also warum sollte ausgerechnet der Paketzusteller dort vorbeifahren und unseren Einkauf abholen? Ja, klar, natürlich: aus Bequemlichkeit, unserer Bequemlichkeit. Wir lassen liefern. Am besten alles. Doch bequem heißt nicht klimafreundlich.

Früher taten wir eindeutig zu wenig für Klima und Umwelt. Heute haben wir eher das Kant’sche Problem: Was sollen wir tun? Welcher von zwei oder mehr angeblich klima- und umweltfreundlichen Optionen sollen wir den Vorrang geben? Wir wissen es a priori nicht. Vor allem dann nicht, wenn zwei mutmaßlich klima- und umweltfreundliche Konzepte miteinander konkurrieren. Denn es gibt ja auch die Packstationen auf den Parkplätzen von Supermärkten und Discountern: Hier liefert der Paketbote sämtliche Pakete an und wir holen sie dort ab – ohne dass der Paketbote Haustür für Haustür abklappern und sich zig Abfuhren einholen müsste. Wozu brauche ich dann noch einen Paketkasten an meiner Hauswand?

Gewiss: Es gibt noch viel zu wenig Packstationen. Das stimmt. Bislang sind es bundesweit, neben zahlreichen Filialen, „nur“ rund 4.000 Stück. Doch bis 2021 sollen rund 3.000 weitere hinzukommen. Bald gibt es die Packstation also flächendeckend. Was also sollen wir tun? Wohin sollen wir liefern lassen? In die Packstation oder den Paketkasten?

Im Grunde ist das ein klassisches Wege-Optimierungsproblem mit zwei Variablen: dem Lieferweg und dem Abholweg. Beim Paketkasten ist mein Abholweg praktisch null – dafür ist der Lieferweg für den Paketboten in Summe über alle Haushalte astronomisch. Bei der Packstation ist es umgekehrt: Die Abholwege sämtlicher Abholer summieren sich zu einer immensen Länge, während die Lieferfahrer lediglich von Supermärkten und Discountern zur nächsten Packstation fahren müssten. Welches dieser beiden Modelle mit der geringsten Summe der gefahrenen Wege auskommt, lässt sich weder auf den ersten Blick noch mit ganz viel gesundem Menschenverstand tippen. Das lässt sich nur mit einer mathematischen Modellrechnung lösen, die aus Gründen des offensichtlichen Interessenkonfliktes von keinem der Anbieter solcher Modelle aufgestellt werden sollte. Hat ein Analytiker, Mathematiker oder Experte für Operations Research das schon einmal ausgerechnet? Das würde mich interessieren. Das wäre mal eine spannende Aufgabe für eine verdienstvolle Forschungsarbeit. Das Klima wird es danken.

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