Wer in diesen Tagen öfter als einmal am Tag Nachrichten hört oder sieht, braucht ein Rezept für ein gutes Antidepressivum. Die Lage ist jenseits von belastend: Kranke, Tote, Firmenpleiten, Arbeitslosigkeit, soziale Deprivation. Höchste Zeit, aus der Problemtrance rauszukommen und die Lichtblicke im Dunkel zu suchen.
Das Lehrstuhl-Team hat sich zusammengesetzt und aus der eigenen Anschauung und Erfahrung einige Lichtblicke zusammengetragen.
Natürlich, obligatorisch, immer an erster Stelle solcher Aufzählungen: Ärzte und Pflegepersonal – Spitzenleistung allenthalben! Doch nicht nur hier. Auch im ganz normalen Alltag hat die Krise neben vielen schlimmen auch einige positive Auswirkungen, zum Beispiel: Reisekosten-Abrechnung, selber erlebt.
Hat einer von uns in der Vergangenheit dieses komplexe Dokument falsch eingereicht, kam es von der zuständigen Stelle zuverlässig wieder zurück: nächste Runde, noch einmal einlesen, korrigieren, ergänzen, neu einreichen. Dieser Tage die zeit- und nervensparende lapidare Mitteilung: „Da stimmt einiges nicht – aber wir passen das selber an.“ Komplexe Sachverhalte werden in einfache Lösungen umgesetzt.
Die Krise fördert Pragmatismus, Kreativität, Effizienz, Kollegialität und Anpassungsfähigkeit nach dem Motto: Warum kompliziert, wenn es auch einfach geht? Einfach mal machen! Prozesse werden schneller, Arbeitsvorgänge effizienter, Entscheidungswege kürzer und damit Management und Produktion besser.
In manchen Unternehmen werden Mitarbeiter jetzt mit komplett neuen, ungewohnten Aufgaben betraut, in die sie sich in kürzester Zeit einlernen und mit deutlich größerer Verantwortung meistern. Wenn das nicht agile ist.
Das Home Office seinerseits ist für viele Familien eine Belastung. Doch wer es halbwegs gemanagt kriegt, hat plötzlich das, wovon Millionen Arbeiter und Angestellte jahrelang nur sehnsüchtig sprechen konnten: plötzlich sehr viel mehr Zeit für die Familie. Es wächst zusammen, was zusammengehört. Man kann sich dabei gegenseitig auf die Nerven gehen und/oder sich endlich wieder näherkommen und die Familienbande stärken. Vor allem: Geteiltes Leid ist halbes Leid.
Auch die Umwelt profitiert von Corona. Viele Vorher-Nachher-Fotos im Internet zeigen: Wo der City Smog früher gerade noch den nächsten Häuserblock erahnen ließ, sieht man jetzt praktisch bis zur Erdkrümmung die Straße lang. Kein Smog mehr, weniger Treibhausgase, weniger Ressourcenverbrauch, der Ölpreis ist im Keller. Wir alle können überdeutlich erkennen, wie sehr wir doch die Umwelt belasten mit unserem normalen Treiben außerhalb von Krisen. Deutschland könnte sein Klimaziel 2020, das im Januar geistig schon aufgegeben wurde, doch noch erreichen. Wer in der Stadt wohnt, hört morgens jetzt etwas, das er oder sie vielleicht nie zuvor gehört hat (wegen des Berufsverkehrs): Vogelgezwitscher.
Natürlich gibt es auch die Hamsterer mit der Devise „Nach mir die Sintflut!“ Doch es gibt auch die SchülerInnen, die für die SeniorInnen in ihrem Viertel einkaufen gehen. Wir rücken zusammen, wenn es hart auf hart kommt – zumindest tun das Teile der Gesellschaft. Etliche bestellen Essen zum Mitnehmen oder kaufen jetzt schon Gutscheine zum nach der Krise Einlösen, damit ihr Lieblingsrestaurant nach der Krise wieder aufmachen kann. Wer noch eine Nähmaschine hat und bedienen kann, näht für die Nachbarschaft Masken. Nachbarn kaufen beim Garage Sale des Blumenladens um die Ecke. Alles Zeichen von etwas, das lange vor der Krise bereits tot und begraben schien: Solidarität.
Und noch eine Tugend: Gewissenhaftigkeit. Die meisten Menschen halten sich an Physical Distancing.
Video Conferencing bietet unfreiwillige Einblicke in das Privatleben von Vorgesetzten und CEO’s, wenn das verschreckte Haustier durchs Bild läuft oder der Blick auf den Hometrainer oder das chaotische Bücherregal im Hintergrund fällt. Oder auf die Möblierung, die einen sympathisch verpeilten Geschmack verrät: TopmanagerInnen erscheinen plötzlich sehr viel menschlicher und nahbarer als auf Bilanzpressekonferenzen und in Vierfarb-Hochglanz-Magazinen. Skype, Zoom und andere setzen zwar eine Distanz zwischen Menschen voraus, doch gleichzeitig wird diese Distanz durch solche Einblicke auf menschlicher Ebene aufgehoben.
Gewiss: Viele wissen nicht, womit sie die übernächste Miete bezahlen sollen, etliche arbeiten kurz oder sind ihren Job bereits los, weil die Firma pleite ist, in Gastronomie und Hotellerie rechnen einige Branchenkenner mit einer Insolvenzrate von 30 Prozent. Doch wenn die objektive Lage derart bescheiden ist, wird die subjektive Befindlichkeit umso entscheidender. Wer in solchen Lagen Mut, Humor, Zuversicht und Tatkraft verliert, hat bereits verloren. Das wollen wir nicht.
Wir wollen möglichst solidarisch, kreativ, pragmatisch, eigenverantwortlich und digital bleiben – und das möglichst lange über das Ende der Krise hinaus. Die Tugenden, welche die Krise uns lehrte: Wir wünschen uns, dass wir sie auch nach der Krise möglichst lange weiter pflegen.