Eine Straße erobert die Welt

Tausend Milliarden! Das ist die teuerste Sache der Welt! So viel Geld wurde, geschätzt, bereits für das Mega-Projekt „Neue Seidenstraße“ weltweit ausgegeben. Das ist kein Jahrhundert-Projekt.

Das ist ein Jahrtausend-Projekt, das bis 2049 die Welt auf eine Art verbinden soll, die schneller, direkter und besser ist, als es jemals in der menschlichen Geschichte der Fall war. Globalisierung 7.0, sozusagen. Und niemand spricht darüber.

Wie kann es sein, dass unsere Leitmedien über Trivialitäten wie Bundesparteitage berichten, die morgen schon vergessen sein werden, während dieses Jahrtausend-Projekt, das die Welt komplett verändern wird, in der öffentlichen Wahrnehmung praktisch nicht mehr vorkommt?

Es könnte daran liegen, dass viele Länder, die vor wenigen Jahren dem Projekt noch zugejubelt haben, jetzt den Preis dafür bezahlen. Und der Preis ist heiß. Zum Beispiel für Argentinien.

Die zentralen Investoren der neuen Seidenstraße gaben dem Land bereits 4,7 Milliarden US-Dollar – um zwei Staudämme zu bauen. Hm, denkt sich da jedes interessierte BWL-Erstsemester: Ich habe zwar noch nicht den Master in Supply Chain Management – aber wozu braucht eine Seidenstraße zwei Mega-Wasserkraftwerke? Das fragten sich die Argentinier auch und fanden die Antwort, als der Investor ihnen sagte: „Als Gegenleistung für den Bau dieser beiden Staudämme bauen wir euch dann auch die für die Seidenstraße benötigte neue Bahnlinie.“ Die beiden Staudämme braucht das Land vielleicht nicht – doch umso intensiver der Investor. Wozu? Nicht für die Seidenstraße. Sondern für seinen großangelegten Einstieg in den argentinischen Energie-Markt. Je mehr der Investor derart „kuppel-investiert“ in Großprojekte, die nichts mit der Seidenstraße zu tun haben, desto stärkeren Einfluss gewinnt er auf die Infrastruktur eines Landes, seine Märkte und damit auf Regierung und Bevölkerung. Eigentlich eine ganz clevere Strategie: Mach Geschenke, die dir selber nutzen.

Zweites Beispiel: Sri Lanka. Da hat der große Investor einen neuen Hafen gebaut. Dieser zumindest nutzt doch wohl der Seidenstraße! Ganz direkt: Mit einem neuen, größeren Hafen kann Sri Lanka schneller, besser und mehr ex- und importieren. Fragt sich: Was? Denn 2012 bestand der komplette Schiffsverkehr des ganzen Landes aus – raten Sie mal.

Sie kommen nie drauf: aus 34 Schiffen. Diese hätte man auch im alten Hafen abfertigen können. Nun könnte man argumentieren: Aber mit der Seidenstraße wächst doch auch der Schiffsverkehr! Das ist eine schöne Perspektive – im Jahr 2012. Heute wissen: Das hat nicht hingehauen. Nach Fertigstellung des neuen Hafens blieb die erhoffte Nachfragesteigerung aus, so dass der schöne neue Hafen wegen massiver Überkapazitäten schnell in massig miese Zahlen rutschte. Kein Problem! Denn auch hier konnte der Investor helfen: Er leaste den Hafen einfach auf 99 Jahre. Die Regierung ist damit ihr Finanzproblem los. Und ihren Hafen. Wenn in den nächsten Jahren tatsächlich der Schiffsverkehr drastisch ansteigt, streicht wer die drastisch gestiegenen Gewinne ein?

Es ist ganz erstaunlich, wie uns alten Kapitalisten ausgerechnet ein kommunistisches Land zeigt, was verschärfter Kapitalismus ist im Vergleich zu dem unser angeblicher „Haifischkapitalismus“ wie ein Glas voller han0064zahmer Goldfische aussieht. Warum studieren unsere Studis sowas nicht in BWL? Denn mit diesem Rezept könnten wir die Armeen aller Länder abschaffen und die Welt erobern, ohne einen einzigen Schuss abzugeben.

Die frühen Kolonialmächte der vorigen Jahrhunderte mussten noch mit ihren Streitkräften ein Land blutig überfallen und die Bevölkerung mit hohem Blutzoll unterjochen, um ihre Kolonien zu errichten. Der Kapitalismus hat nun Krieg als ultima ratio abgelöst, ohne eine einzige Kanone abzufeuern. Unblutig, investiv, mit hohem ROI. So geht das!

Diese Strategie der Welteroberung ist sehr viel effizienter als jeder Krieg. Erst verschenkt man Investitionen, um weltweit eine Infrastruktur aufzubauen, die eine Nachfrage ermöglicht, die heute nicht einmal ansatzweise vorstellbar ist und gegen die Amazon wie der kleine Tante-Emma-Laden des vorigen Jahrhunderts anmutet. Und rollte die Nachfrage dann, übt wer die Entscheidungsmacht über die aufgebaute Infrastruktur aus? Einfach genial. Mit der Infrastruktur wird sozusagen im Tarnmodus eine Machtstruktur etabliert: Wer zahlt, schafft an.

Nur um den Unterschied klarzumachen: Diese weltumspannende Strukturkonstruktion beruht nicht etwa auf Kooperation oder gleichberechtigter Zusammenarbeit. Das ist kein Geschäft auf Gegenseitigkeit unter Gleichberechtigten. Das ist der größte Hedgefonds der Erde. Das ist der Abverkauf der Welt.