Die Welt von morgen

Wer hat eigentlich das Internet erfunden? Den Reißverschluss? Oder die Industrie 4.0? Gute Fragen. Bessere Frage: Wo werden solche schönen Sachen, wo wird die Welt von morgen erfunden?

Meist nicht unter der Dusche, wie der literarische Mythos suggeriert. Zufallserfindungen sind meist reine Erfindung – oder maximal selten. Der wahre Erfinder moderner Prägung erfindet nicht en passant oder zufällig, sondern in einem kreativitätsmaximierenden Umfeld, heute meist Innovationslabor genannt. Jeder Konzern, der zukunftskompetent ist, hat eines, zum Beispiel Amazon.

Seit kurzem kommen bei Amazon die guten Ideen für die Welt von morgen aus dem neu eröffneten europäischen Innovationslabor für Logistik im norditalienischen Vercelli (Piemont). Warum wurde dort ein Innovationszentrum für Logistik eröffnet? Weil Amazon entgegen landläufiger Meinung rein vom Aufwand her betrachtet kein Warenhaus ist, sondern ein Logistikkonzern. Auch deshalb hat Amazon eigene Lieferflotten, Packstationen, Hunderttausende Lagerarbeiter und mittlerweile sogar firmeneigene Frachtflugzeuge. Viele Online-Händler nutzen für ihre Logistik die etablierten Logistikdienstleister wie DHL, FedEx oder UPS. Amazon dagegen hält den entscheidenden Faktor für den Konzernerfolg lieber so weit wie möglich in der eigenen Hand, weil die Manager wissen: In der Konsumwelt von heute entscheidet nicht mehr die Ware, sondern ihre schnellstmögliche korrekte Anlieferung an der Wohnungstür des Bestellers. Das kann im Hyperwettbewerb unserer Tage ein Mitglied der Plattform-Ökonomie nur schaffen, wenn seine Logistik herausragend und hoch innovativ ist.

Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen wenden ein: Wir können uns ein eigenes Innovationslabor doch gar nicht leisten! Aber vielleicht ein Innovationsbudget, das ermöglicht, mit der Zukunft Schritt zu halten? Auch dieses Budget spricht für sich: Im vorletzten Jahr hatte Amazon mit 24,4 Milliarden Euro das höchste Innovationsbudget der Welt. Auf Platz 2 folgte der Google-Mutterkonzern mit 18,2 Milliarden. Zum Vergleich: VW lag mit 12,1 Milliarden auf Platz 6. So gesehen ist die Zukunft auch „bloß“ eine Investition: Wer investiert, profitiert. Wer knausert oder es sich nicht leisten kann, ist zum Kopieren und/oder Hinterherhinken verdammt. Wobei: Amazon ist doch heute schon in vielen Ländern und Bereichen Marktführer der Logistik! Was kann da noch optimiert werden?

Die einfache Antwort der Zukunftsforschung lautet: So gut wie alles. Denn wenn die Geschichte uns eines lehrt, dann die ständige Veränderung oder (bestenfalls) Verbesserung. Wer gleich (gut) bleibt, bleibt zurück. Modernisierung ist das Gebot der (wettbewerbsfähigen) Zukunft. So hat Amazon in seinen weltweit 175 Logistikzentren bis heute über 100.000 Transportroboter eingeführt. Dabei sank mit deren zunehmendem Einsatz die Zahl der Mitarbeiter nicht nach dem Motto „Maschine verdrängt Mensch“. Sie stieg – auch als Folge der drastisch zunehmenden Online-Bestellungen – auf heute allein in Deutschland über 16.000 Festangestellte in der Logistik.

Bei so vielen Robotern – was bleibt da noch zu innovieren und zu optimieren? Eben nicht nur die üppigen Kosten auf der berühmten letzten Meile der Auslieferung. Sondern auch die Lieferprozesse innerhalb und zwischen den Lagerstufen. Dabei werden Artikel-Sortiersysteme, Palettier-Roboter oder Hebevorrichtungen nicht nur zur Prozessbeschleunigung, sondern auch zur körperlichen Entlastung der Mitarbeiter eingesetzt, damit sie unter den bekannt harten und stressigen Arbeitsbedingungen besser bestehen können und gesund bleiben. Inzwischen räumt selbst Amazon ein, mit der fortschreitenden Robotisierung und Automatisierung die Mitarbeiter körperlich entlasten zu wollen.

Wenn also in einer nicht allzu fernen Zukunft die Liefer-Drohne im 3. Stock ans Wohnungsfenster klopft oder Ihre Online-Bestellung per Rohrpost in den Wohnblock geliefert oder gleich per 3D-Drucker im Bügelzimmer ausgedruckt wird, dann machen das Konzepte und Pilotprojekte möglich, wie sie bereits heute in Innovationslaboren ausgetüftelt und zur Marktreife entwickelt werden. Was bringt uns die Zukunft?, ist daher die falsche Frage. Zukunft ist nichts, was gebracht werden könnte. Zukunft ist morgen das, was heute bereits erdacht und entwickelt wird.