Die Mondmission der LKW-Branche

Der Klimawandel tobt, mit massiven Folgen: Ganze Klimazonen verschieben sich, Bundesländer werden überschwemmt, schwere Unwetter nehmen zu, Dürren und Waldbrände auch. Dafür verantwortlich sind im Wesentlichen die sogenannten Treibhausgase. Sie heizen die Atmosphäre der Erde wie ein Treibhaus auf. Aber wir tun doch schon eine Menge dagegen?

Tun? Wir lesen und hören eine Menge darüber. Doch mit dem Tun an sich hapert es noch. Zwar sinken die Emissionen in vielen Bereichen von Wirtschaft und Leben. Doch im Gegensatz dazu sind die CO2-Emissionen im gesamten Straßenverkehr seit 1990 nicht signifikant zurückgegangen. Wir fahren nach wie vor massenhaft mit den eigenen Autos durch die Gegend und was emissionsärmere Motoren auf der einen Seite einsparen, schleudern wir mit immer größeren und immer mehr SUV’s hinten umso heftiger wieder raus. Außerdem sorgt die Lawine unserer explosionsartig gestiegenen Online-Bestellungen für eine Flotte von Kleintransportern, die das Klima schädigen, indem sie uns beliefern.

Der LKW ist immer noch und immer weiter das meistgenutzte Transportmittel. Er ist für 72,5 Prozent der insgesamt erbrachten Transportleistung verantwortlich. Das heißt: Rund drei Viertel von allen Gütern, die in Deutschland unterwegs sind, sind mit dem Laster unterwegs. So viel zum Slogan der 70er-Jahre: „Güter gehören auf die Bahn!“

Das fordern heute noch Umwelt- und Interessenverbände: eine Verlagerung von Transporten auf die Schiene. Dadurch wäre eine erhebliche Einsparung von Emissionen möglich: Rund ein Fünftel des CO2-Ausstoßes hierzulande wird vom Straßenverkehr verursacht; 96 Prozent davon quellen direkt aus dem Auspuff von PKW und LKW.

Dass die Schiene das Klima retten könnte, zeigen die Zahlen: Ein LKW bläst im Schnitt 111 Gramm Treibhausgase pro Tonnen-Kilometer hinten raus (2019). Ein Güterzug dagegen gerade mal 14 Gramm, also grob ein Zehntel davon. Das sind Welten. Welten, die uns von der Klimarettung trennen. Nichts dagegen, dass wir weiterhin wie die Wilden online bestellen. Aber dann wenigstens mit Anlieferung so weit wie möglich (exklusive der letzten Meile) auf der Schiene. Die Frage ist nur: Könnte das unser Schienennetz überhaupt leisten? Oder werden, wenn so viele Güter auf der Schiene unterwegs sind, die ICE’s dann noch unpünktlicher?

Ein klimarettender Ausbau des Schienennetzes würde eine nationale Milliarden-Investitionsoffensive erfordern, die beim Anblick der verabschiedeten Haushalte der letzten Jahre nicht erkennbar ist. Einmal ganz davon abgesehen, dass es Jahre dauert, bis neue Gleise projektiert, von sämtlichen Einsprüchen befreit und gebaut werden können. Und trotzdem will die Politik bis 2050 unseren CO2-Ausstoß nahezu komplett reduzieren. Konkret soll er hierzulande bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden. Wie soll das gehen, wenn weiterhin so viele LKW‘s unterwegs sind?

Natürlich mit grünem Wasserstoff! Das ist die Lösung; rein technisch betrachtet. Doch die Technik ist hier nicht das Problem. Das erste Problem ist vielmehr die Herstellung: Wo und wie sollen in den neun bis 2030 verbliebenen Jahren genügend Wasserstoff-Produktionsanlagen gebaut werden, die dazu noch mit erneuerbarer Energie betrieben werden, wenn allein die Genehmigungsverfahren hierzulande sich über viele Jahre hinziehen? Zweites Problem: Wo sollen die Wasserstoff-LKW ihren Wasserstoff tanken?

Im Juli 2021 standen in ganz Deutschland lediglich 91 rund um die Uhr zugängliche Wasserstoff-Tankstellen. Von den herkömmlichen Benzin-Tankstellen gibt es dagegen 14.000. Das nennt man flächendeckend. Wie soll das bis 2030 auch für den Wasserstoff gelingen? Nun gut, dann werten wir dieses hehre Ziel eben als typisch politisches Ziel, im Volksmund auch „Wahlversprechen“ genannt. Doch Wahlversprechen retten unsere Kinder und Enkel nicht vor dem Klima-Kollaps. Die Wirtschaft jedenfalls hat sich inzwischen von Politik und Medien abgewandt.

Während viele öffentlich und medial noch das E-Auto bejubeln, planen, entwickeln und testen die LKW-Hersteller längst mit Wasserstoff. Sie betrachten diesen als den Treibstoff der Zukunft. Pilotprojekte zeigen, dass der Wasserstoff-LKW läuft – bloß tanken kann er noch so gut wie nirgends. Nicht die Technik an sich, sondern der Aufbau der dazugehörigen klimafreundlichen Tank-Infrastruktur ist daher die Jahrhundert-Herausforderung: „Klima-Neutralität ist die Mondmission der LKW-Branche“, sagt Martin Daum, Chef des weltweit größten LKW-Herstellers Daimler Truck auf SPIEGEL online (18.3.2021).

Um diese Mission zu erfüllen, haben sich mittlerweile 62 Unternehmen in einer Kooperation zusammengeschlossen: LKW-Hersteller, Zulieferbetriebe, Energieversorger und Logistikdienstleister. Ihr Ziel: Bis 2030 sollen rund 100.000 Wasserstoff-LKW auf die Straßen Europas gebracht werden, die dann an 1.500 H-Zapfsäulen auftanken können. Das sind respektable Zahlen – bis man sie mit der aktuellen LKW-Zahl vergleicht.

Was schätzen Sie: Wie viele LKW – vom Klein- bis zum Schwertransporter – sind allein in Deutschland zugelassen? Nur wenige tippen richtig: 3,4 Millionen. Selbst wenn bis 2030 also 100.000 Wasserstoff-LKW unterwegs wären: Damit retten wir das Klima nicht. Dabei ist Wasserstoff praktisch die einzige Rettung.

Denn bei Müllautos, Kehrmaschinen, Stadtbussen und im Schwer- und Fernverkehr funktioniert der E-Antrieb einfach nicht. Ein 40-Tonner mit Akkus? Dieser bräuchte so viele Akkus, dass deren Gewicht allein schon den Zweck des LKW ad absurdum führen würde. Daher: Wir brauchen den Wasserstoff. Die Motoren dazu gibt es längst.

Was fehlt, ist das, was man abstrakt auch „klimaneutrale Infrastruktur“ nennt: Zapfsäulen. Und viele Wasserstoff-Fabriken. Wer soll die alle bauen? Noch rechtzeitig, in ausreichender Menge? Wir brauchen doch schon viel zu viele Jahre, um einen neuen Hauptstadt-Flughafen zu bauen – und der ist ein vernachlässigbarer Klacks, im Vergleich zur megalomanen Herausforderung der Klima-Katastrophe. Wie viele Jahre, nachdem das kaputte Klima weite Teile von Hessen und von Rheinland-Pfalz unbewohnbar gemacht und eine Flüchtlingswelle gen Bayern ausgelöst hat, schaffen wir die Errichtung einer klimafreundlichen Infrastruktur? Das ist die depressionsauslösende Frage. Reframen wir sie zu: Was müsste passieren, damit wir es wider allen Prognosen jedes vernünftigen Risikomanagers doch noch schaffen? Und: Wer könnte das schaffen?