Was kaufen wir am liebsten ein? „Wir“ will heißen: Wir als Weltbevölkerung. Und „Einkaufen“ umfasst Konsum- wie Investitionsgüter. Also: Worauf tippen Sie?
Was ist das am meisten verkaufte Produkt der Welt?
Ja, natürlich: das Auto. Den Umsatz erraten Sie nie: 1,35 Billionen US-Dollar jährlich (2016). Nur zur Erinnerung: 1 Billion sind 1.000 Milliarden. Mit dieser Summe kaufen wir rund 55,8 Millionen Autos. Und das mehr oder weniger Jahr für Jahr. So viel gibt die Menschheit jedes Jahr für Autos aus. Und für die Rettung des Klimas?
Wer die Nummer 1 der verkauften Produkte erraten hat, errät auch die Nummer 2. Denn womit fahren Autos? Mit der Nr. 2, mit raffiniertem Erdöl. Die Nummer 3 dagegen schlägt aus der Reihe: Integrierte Schaltkreise, also Chips und Halbleiter. Sie illustrieren, dass wir tatsächlich im digitalen Zeitalter leben. Die Nummer 4 dagegen folgt wieder dem Spitzenreiter: Autoteile. Hier die Weiteren:
Nr. 5: Computer
Nr. 6: Arzneimittel. Wir geben also, grob gesagt, weitaus mehr für Autos als für Gesundheit aus. Noch spitzer formuliert: Unser Auto ist uns in Dollar und Cent ausgedrückt mehr wert als unsere eigene Gesundheit.
Nr. 7: Gold – was leicht irritiert: So viel können wir doch unmöglich für Schmuck ausgeben?
Nr. 8: Rohöl – schon wieder Richtung Auto.
Nr. 9: Telefone, insbesondere Smartphones (510 Mrd. Dollar)
Nr. 10: Unterhaltungselektronik (395 Mrd. Dollar)
Was auffällt: Da ist nichts Ausgefallenes dabei. Alle Produkte sind strikt Alltagsgüter. Was einleuchtet: Das, was wir täglich am meisten brauchen, kaufen wir auch am meisten. Übrigens: Auf welchem Rang würden Sie Lebensmittel vermuten?
Leider endet die Top10 bei der Nr. 10. Doch immerhin kennen wir den jährlichen Umsatz bei Lebensmitteln und Getränken: 281 Mrd. Dollar. Das heißt: Radios, HiFi-Anlagen und Flachbildschirme kaufen wir sehr viel mehr ein als was wir essen und trinken. Interessant auch, welchen Stellenwert Bücher in unserem Leben haben. Feed your mind?
Von wegen: Für Bücher gibt die Bevölkerung der Welt jährlich gerade einmal 101 Mrd. Dollar aus. Das ist ein Fünftel des Umsatzes für Smartphones. Und wir wundern uns, dass erwachsene Menschen keinen geraden deutschen Satz mehr zustande bringen und viele als funktionelle Analphabeten gelten, weil sie nicht-triviale Texte in Zeitung, Buch oder Internet zwar lesen, aber nicht mehr verstehen können. Wir leben nicht mehr im Informationszeitalter, sondern im Zeitalter der Informationen, die nur einen Mausklick entfernt sind, aber von immer weniger Menschen verstanden werden; siehe Impfskeptiker.
Wenn wir die Top10 des weltweiten Konsumrauschs betrachten, bestätigt sich der Eindruck: Wir sind ganz herausragende Materialisten. Shop till you drop! Das ist kein Tadel. Würden wir nicht ständig mehr von den Dingen kaufen, die wir nicht brauchen, mit Geld, das wir nicht haben, um Menschen zu beeindrucken, die wir nicht mögen, würde die Weltwirtschaft zusammenbrechen.
Natürlich wissen wir alle: Geld und Gut machen nicht glücklich, Glück kann man nicht kaufen und weniger ist mehr. Doch der sogenannte Essenzialismus oder auch Minimalismus ist nicht sonderlich populär. Wenn ihm auch nur die Hälfte der Weltbevölkerung nachginge, wäre das Klima gerettet wie auch die Umwelt, die Meere und die Atemluft – und die Wirtschaft wäre kaputt.
Wir würden alle mit dem Rad zur Arbeit fahren, an Weihnachten Lieder unterm leeren Baum singen, nicht im Schnitt alle 1,5 Jahre ein neues Smartphone kaufen und die aktuelle Kleidung tragen, bis sie abgetragen ist und nicht, bis die Fast Fashion nächste Woche eine komplett neue Kollektion auf den Markt wirft. Wir wären materiell ärmer, langweiliger gekleidet und sehr viel glücklicher. Denn dass das ganze käufliche Zeug nicht nachhaltig glücklich macht, zeigt allein der Umstand, dass seine Wirkung immer schneller nachlässt. Gerade deshalb kaufen wir ständig sehr viel mehr ein, als wir jemals brauchen können. Warum?
Wie der Name schon sagt: „Konsumrausch“ – das klingt nach Sucht. Und Süchte gehen mit einer Abhängigkeit einher, aus der wir uns weder durch bloße Absicht noch durch guten Willen befreien können. Wir brauchen eine Entgiftung, einen Entzug.
Es mag leicht paradox anmuten, dass ausgerechnet eine Wirtschaftsprofessorin zum Konsumverzicht aufruft. Doch a) bin ich mir aus Erfahrung sicher, dass dieser Appell ungehört verhallt, weil Appelle auf Süchte dieselbe Wirkung haben wie eine Erbsenschleuder auf einen Leopard-Panzer. Und b) rufe ich nicht zum Konsumverzicht auf, sondern zum Glücklichsein. Was ist dagegen einzuwenden?
Dabei liegt das Glück nicht im Verzicht an sich, wie viele Gegner des Konsumverzichts beklagen. Wer den unstillbaren Drang nach einem Paar neuer, modischer und völlig unnötiger Schuhe oder dem neuesten Smartphone verspürt, wenn das alte gerade mal zehn Monate alt ist, wird bei einem Verzicht darauf erst einmal Mangel, Leere, Frust und Entzugserscheinungen verspüren – wie jeder Süchtige.
Der Lohn des Verzichts liegt nicht im Verzicht, sondern in dem, was er möglich macht: Nachdenken und Nachspüren, welches Bedürfnis wir mit dem vorgeschobenen Kompensationskauf im Grunde befriedigen wollen – und es dann ganz ohne Requisiten und unnötige Krücken befriedigen. Nachhaltiger, echter und authentischer im Sinne von: in Übereinstimmung mit unseren eigentlichen, tieferen Bedürfnissen. De profundis, wie der Lateiner sagt: Echte Zufriedenheit lässt sich nur dadurch erreichen, dass wir nicht unsere oberflächlichen, sondern die tieferen Bedürfnisse stillen.