Wasser unterm Kiel

Wir wissen, woher die Dinge kommen, die wir im Supermarkt kaufen. Wer bringt’s? Natürlich der LKW. Das riesige Containerschiff über den Atlantik. Das Frachtflugzeug, wenn es von weither schnell gehen muss. Der Güterzug. Was haben wir bei dieser Aufzählung vergessen? Was vergessen wir als Verbrauchernation konsequent?

Die Binnenschifffahrt.

Wie „vergisst“ man mal rasch 48,2 Milliarden Tonnenkilometer? Das ist die Menge, welche die Binnenschifffahrt allein in Deutschland in einem Jahr (2021) transportiert. Das sind zwar nur 7 Prozent der gesamten deutschen Jahrestransportleistung. Doch um einen ungenannt bleiben wollenden Bundeswirtschaftsminister zu variieren: Jede Tonne zählt! Eigentlich doppelt.

Nein, vierfach. Denn ein Binnenschiff kommt im Schnitt mit derselben Menge Energie viermal so weit wie ein LKW. So ein Rheinkahn ist extrem energieeffizient. Und damit viel nachhaltiger als LKW’s. Daher: Güter gehören auf die Bahn – und auf den Fluss! Gewiss, so ein Kahn ist deutlich langsamer als ein LKW. Und Schnelligkeit hatte bei uns bislang oberste Priorität. Jetzt soll angeblich das Klima an Prio1 stehen – vielleicht an Prio1 der politischen Agenda. Aber nicht der ökonomischen Realität. Denn im realen Wirtschaftsleben muss es immer noch Just in Time und die 24h-Belieferung sein und die Ersten, die Zeter und Mordio schreien, wenn man ihnen dieses Privileg nehmen möchte, sind wir Verbraucher. „Heute bestellt, morgen geliefert!“ – der Slogan zur Klimakatastrophe. Aber das ist für den neurotypischen Django-schießt-aus-der-Hüfte-Online-Besteller bereits höhere Mathematik.

So ein Rheinkahn ist zwar langsam, aber auch kostengünstig. Die relativen Kosten pro 1.000 km betragen beim Binnenschiff 10 Euro, bei der Bahn 15 und beim LKW 35 Euro. Ginge es rein nach Wirtschaftlichkeit, müssten die Binnengewässer Bug an Heck vollgestellt sein mit Kähnen. Warum sind sie es nicht?

Wie wir alle diesen Sommer erfuhren: wegen des Niedrigwassers. An vielen Stellen zum Beispiel im Rhein sank der Pegel unter die kritische Schwelle von 40 cm. Es regnet zu wenig im Sommer und schneit zu wenig im Winter. Deshalb wurde der Nachschub vieler Güter unterbrochen, die auf Flüssen transportiert werden: Kohle für Kohlekraftwerke, Getreide und Futtermittel, Mineralöl oder auch Baustoffe. Wenn also im kommenden Frühjahr das Schnitzel plötzlich irre teuer wird, kann es daran gelegen haben, dass viele Viehzüchter jetzt im Sommer kein Viehfutter mehr bekamen. Um Henry Mintzberg zu variieren: Wir alle leben in und von Lieferketten, haben aber keine Ahnung, wie sie funktionieren.

Es muss nur an einer einzigen Stelle in einer Lieferkette eine Disruption geben – und der Rest der Kette bis hin zu uns Verbrauchern kippt um wie Dominosteine. Der Dominoeffekt der Disruption. Während des Niedrigwassers im Sommer haben einige Logistikdienstleister ihre Schifffahrt auf dem Mittelrhein einfach eingestellt. Die Fracht wurde teilweise auf LKW’s verladen, die im Vergleich zu einem Kahn sehr viel mehr CO2 ausstoßen und noch mehr Staus verursachen, was noch mehr CO2 rausbläst, was das Klima noch mehr schädigt, weshalb es sommers tendenziell noch mehr Dürren und Niedrigwasser geben wird … eine Todesspirale im Sinne des Wortes. Das hätte man verhindern können.

Indem man zum Beispiel vor 20 Jahren die Binnenschifffahrt massiv ausgebaut hätte. 20 Jahre? Das politische System denkt höchstens vier Jahre weit, das Konzernmanagement bis zum nächsten Quartal und auch wir Verbraucher demonstrierten vor 20 Jahren nicht massenhaft vor dem Kanzleramt für einen Ausbau der Binnenschifffahrt. Pigou und von Böhm-Bawerk nannten das die „Defective Telescopic Faculty“; umgangssprachlich: Was die eigene Zukunft angeht, sind wir Menschen blind wie die Maulwürfe.

Was uns jetzt noch bleibt, ist hektischer Aktionismus: Fahrrinnen ausbaggern, Flachstellen und Engpässe beseitigen, Schiffe mit noch weniger Tiefgang bauen; der Bundesverkehrsminister spricht sich für einen Ausbau der wichtigsten Wasserstraßen bis 2030 aus. Das alles kostet Milliarden. Woher soll das Geld kommen? Alle reden davon, wie das E-Auto das Klima retten soll. Keiner redet vom Rhein.

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