Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG)

Ein unglaublicher Wortbandwurm – aber eine gute Sache? Anders gefragt: Errungenschaft oder Trostpflaster?

Kann das LkSG tatsächlich zum Beispiel die Anzahl der Sklaven reduzieren, die wir täglich unfreiwillig und meist unwissentlich quälen, bloß weil wir Kaffee kaufen, Bananen essen, Honig aufs Brot schmieren oder Jeans tragen, die nicht Fairtrade sind? Das ist die Frage.

Keine Frage ist, dass das LkSG genau für dieses Ziel geschrieben und verabschiedet wurde (25.6.2021, Bundesratsbeschluss). Höchste Zeit in Zeiten, in denen weltweit immer noch ca. 160 Millionen Kinder Kinderarbeit verrichten müssen. Das LkSG will auch dieser moralischen Bodenlosigkeit ein Ende machen. Deutschland nimmt dabei, seltene Ausnahme, eine Vorreiterrolle ein. Zwar gibt es andere Länder, die bereits früher ein Lieferkettengesetz beschlossen haben. Doch keines ist so „scharf“ wie das deutsche.

Sein Ziel ist der Schutz der Menschenrechte in globalen Lieferketten. Zynisch könnte man sagen: 50 Jahre nach Erfindung der Globalisierung werden jetzt endlich auch die Menschen darin geschützt. Und sofort stutzen wir: Nur die Menschen? Was ist mit ähnlich bedrohten Phänomenen wie dem Klima und der Umwelt? Die stehen nicht unter dem besonderen, lediglich unter dem marginalen Schutz des neuen Gesetzes. Dazu gleich mehr.

Mit dem LkSG sollen nun keine deutschen Sozialstandards weltweit vorgeschrieben werden. Es geht vielmehr um den Schutz grundlegender Menschenrechte wie beispielsweise dem Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit. Das Gesetz verpflichtet alle Unternehmen mit Haupt- oder Filialsitz in Deutschland. Es gilt ab 2023 für Unternehmen mit mindestens 3.000 Mitarbeitenden. Das sind aktuell nur 900 Unternehmen. Ab 2024 gilt es für Betriebe mit mindestens 1.000 Mitarbeitenden; das ergibt dann insgesamt 4.800 Unternehmen – von insgesamt 3,03 Millionen steuerpflichtigen Unternehmen in Deutschland mit Lieferungen und Leistungen über 22.000 Euro jährlich. Also nicht einmal 1 Prozent der Unternehmen hierzulande fallen unter das Gesetz für die Sorgfalt in Lieferketten. Jene 900 jedoch, die es ab nächstem Quartal (be)trifft: Sie rotieren auf 180.

Denn nur die wenigsten von ihnen wissen, wie das alles gehen soll. Also rennen sie zu Beratungen, die es auch nicht wissen, jedoch die Rechercheure, Juristen und Analytiker haben, die das gegen gutes Geld herausfinden können.

Nicht einmal 1 Prozent der Unternehmen werden auf Sorgfalt in ihren Lieferketten verpflichtet? Ursprünglich waren viel mehr Unternehmen eingeplant. Der Cut sollte bereits bei 250 oder mindestens 500 Mitarbeitenden gesetzt werden. Diese kritische Größe wurde dann im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens aufgegeben, aus administrativer Abwägung: Wer soll Millionen Unternehmen kontrollieren? Dafür bräuchte es eine Monsterbehörde – oder eine extrem effektive Behörde.

Ein Kernelement der gesetzlich vorgeschriebenen Sorgfaltspflicht ist die Etablierung eines Risikomanagements mit Fokus auf die Verletzung von Menschenrechten. Diese Pflicht bezieht sich auf den eigenen Geschäftsbereich, auf das Handeln eines Vertragspartners und weiterer mittelbarer Zulieferer – der Gesetzgeber meint damit wohl: die Lieferkette. Die komplette?

Bis hin zu den Rohstofflieferanten auch in den Blutminen? Das werden wohl erst die Gesetzeskommentare und die ersten Gerichtsurteile klären. Doch auch jetzt schon kann behauptet werden: Lieferketten dürfen nur noch unter Begleitung der internen Lieferketten-Polizei betrieben werden. Wer kontrolliert diese Kontrolleure? Das ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrollen (BAFA). Ob seine Belegschaft mit Verabschiedung des LkSG verfünffacht wurde, ist nicht bekannt. Als Arbeitserleichterung mag gelten, dass das LkSG sogenannte Bemühenspflichten auferlegt.

Betroffene Unternehmen schulden dem Gesetzgeber als keinen Erfolg; nicht die Sklavenbefreiung, nicht die wirksame Beendigung der Kinder- und Zwangsarbeit. Sie schulden lediglich Maßnahmen in angemessenem Umfang, um Verletzungen des Gesetzes zu verhindern. Erinnert sich noch jemand an die Einführung der ISO 9000 in den Nullerjahren? Ein ähnlicher Fall. Damals scherzten Zyniker, dass die ISO selbst noch Rettungsringe aus Beton zertifizieren würde, solange das prüfende QM-System einfach nur die Bemühenspflichten der ISO erfülle. Dieses Prinzip schwächt den Schutz der Menschenrechte doch deutlich.

Der Schutz der Umwelt fällt dagegen fast völlig hinten runter. Sie ist per LkSG nur dann schützenswert, wenn ein Lieferant die Umwelt derart schädigt, dass die Menschen darin ebenfalls geschädigt werden. Umweltsünden werden also nur dann geahndet, wenn sie Menschen gefährden oder schädigen. Wenigstens bemüht sich das Gesetz deutlich stärker um den Schutz der Menschen: Lieferanten müssen einen Living Wage bezahlen, dürfen keine Sklaven oder Zwangsarbeiter beschäftigen, müssen Gewerkschaften und andere Mitarbeitervertretungen erlauben, ausreichend Zugang zu Nahrung und Wasser sicherstellen, dürfen keinen Landraub betreiben und müssen grundlegende Arbeitssicherheits- und Gesundheitsschutzbestimmungen einhalten. Aber wie gesagt: Der deutsche Einkäufer oder Supply Chain Manager muss keinen Erfolg beim Schutz dieser Menschenrechte nachweisen, lediglich ein „hat sich stets bemüht“.

Diese Bemühungen leistet das gesetzlich vorgeschriebene Risikomanagement entweder in Einkauf und Supply Chain Management oder als eigenständige Organisationseinheit. Das macht jede Menge Arbeit. Trotzdem wird das Gesetz von den Betroffenen erstaunlich positiv aufgenommen – je nach Branche. Die Lebensmittelzeitung zum Beispiel befragte Branchen-Insider (Ausgabe 32/2020) und fand heraus, dass knapp 70 Prozent dem Gesetz zustimmen; nur 12 Prozent lehnen es ab. Das ist erstaunlich.

Denn dass deutsche Unternehmen per Gesetz mit einem Wettbewerbsnachteil belegt werden, liegt auf der Hand. Ein besonders polemischer Kritiker meinte dazu, dass deutsche Unternehmen im internationalen Vergleich benachteiligt würden, weil sie nun keine Menschen mehr ausbeuten lassen dürfen – aber die meisten anderen dürfen das immer noch. Doch das Argument sticht nicht. Wir kennen das von verschiedenen Gesetzen zur Korruptionsbekämpfung: Es gibt genügend saubere Unternehmen, die sehr erfolgreich sind, obwohl sie kein Schmiergeld mehr bezahlen dürfen und andere immer noch.

Inzwischen hat auch die EU die Menschenrechte in den Lieferketten entdeckt und im Februar einen Entwurf vorgelegt, der über das deutsche Gesetz hinausgeht. Es wird spannend sein, das EU-Gesetz mit dem deutschen zu vergleichen, wenn ersteres denn vorliegt. Wurde aus den Schwächen des deutschen Gesetzes gelernt? Ist die Umwelt drin? Und kleinere Unternehmen?

Fazit: Endlich! Wenn das LkSG hilft, auch nur einen einzigen Sklaven oder ein einziges zwangsarbeitendes Kind täglich zu befreien, hat es seinen Zweck bereits erreicht – und wir ein tolles Beispiel für Stage-One Thinking gefunden, wie Prof. Thomas Sowell das nennt: Was macht der befreite Sklave dann – ohne Arbeit? Was das von der Kinderarbeit erlöste Kind, das nun nicht mehr zum Lebensunterhalt seiner hungernden Familie beitragen kann und nicht in die Schule geht, weil es nicht genügend Plätze in den Klassenzimmern gibt? Dann endet die Weisheit von Gesetzen. Dann müsste man weiter denken als Gesetze denken können und wollen: Weiterdenker gesucht!

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