Wo bleibt mein Paket?

Wenn wir was bestellen, erwarten wir, dass es auch kommt und zwar zackig! Wenn nicht – wie in vielen Großstädten – noch heute, so allerspätestens morgen. Nach zwei Tagen werden wir unruhig und gehen entweder innerlich oder im Meckernetz auf die Barrikaden. Und nicht nur in gestressten Ausnahmefällen, sondern massenhaft.

In Zahlen: Für 43,5 Prozent der deutschen Bestellerinnen und Besteller kam laut Sendcloud, der Versandplattform für Onlineshops, die letzte erhaltene Sendung „zu spät“ an – unabhängig vom Paketdienst. Fast die Hälfte war zu spät? Das ist in unseren Zeiten logistischer Spitzenleistung doch eine erstaunliche Menge. Wobei es auch daran liegen könnte, dass wir von eben diesen Spitzenleistungen inzwischen so verdorben sind, was wir demnächst Belieferung noch vor Bestellung erwarten. Denn bei den meisten der unzufriedenen Kunden der zitierten Befragung handelte es sich lediglich um eine eintägige „Verspätung“.

Wer wegen nur eines Tages schon mit dem Reklamations-Button spielt, denkt garantiert nicht an die armen Lagerarbeiter und Zusteller, die sich unterbesetzt und überlastet den Buckel krumm schleppen und dafür in der Regel nicht mal ein Dankeschön, geschweige denn ein ordentliches Trinkgeld bekommen, wenn sie ein 10-Kilo-Drumm wieder mal im Laufschritt in den vierten Stock hochgewuchtet haben. Ist ja auch nicht nötig. Denn dafür werden die doch bezahlt, oder? Nicht nur im Internet ist die Moral inzwischen unterhalb der Grasnarbe angekommen und Haifischkapitalisten sitzen nicht nur auf den Teppichetagen der Bürotürme. Aber um die Klage der verhätschelten Kundschaft ernst zu nehmen: Warum wird denn „zu spät“ ausgeliefert? Zwei Gründe.

Der erste: Personalmangel. Der zweite: Umsatzexplosion im Online-Handel. Also zumindest relativ betrachtet immer weniger Zusteller bei immer mehr Sendungen. Überall werden Menschen gesucht, die noch anpacken und die Paketflut eindämmen könnten. Die Aussichten sind düster.

Denn von heute jährlich 4,8 Milliarden Kurier-, Express- und Paketsendungen in Deutschland erwartet zum Beispiel KE-Consult eine Steigerung bis ins Jahr 2026 auf 5,7 Milliarden Sendungen. Diese Flut übermannt eine sowieso ausgedünnte Personaldecke: Personalmangel, Corona, Long Covid, jetzt im Herbst die übliche Grippewelle plus steigende Krankenstände, weil die immer weniger werdenden Kolleginnen und Kollegen natürlich für die erkrankten und absenten Kolleginnen und Kollegen kompensieren müssen, sich noch mehr verausgaben und in Folge noch schneller, öfter und länger krankgeschrieben werden. Wenn man Wirtschaft versteht, ist sie ganz einfach. Wobei das nichts mit Ökonomie zu tun hat. Das ist schlicht gesunder Menschenverstand, der jedoch online nicht zum Einsatz kommt. Da ist der menschliche Verstand auf, wie Prof. Sowell es nennt, Stage One-Thinking reduziert: Man denkt nur noch einstufig à la „Mann, wo ist mein Paket?“

Das Problem hat eine zweite Seite: Wenn die Kunden, aus welchen Gründen auch immer, sauer sind, sind es auch die Versender. Deshalb empfiehlt ihnen Sendcloud, stets mit mehreren Spediteuren zu arbeiten. Also kein Single Sourcing mehr mit Hofspediteuren, sondern eine Multi Carrier-Strategie – wenn man überhaupt noch die Alternative hat. Denn Frachtkapazitäten sind inzwischen auf vielen Routen ebenfalls ein knappes Gut. Warum?

Verdi sagt, weil die Arbeitsbelastung sehr hoch sei. Das ist schönstes Abstraktdeutsch für: Weil die Paketzusteller sich den Rücken krumm buckeln! So ein Paketzusteller schleppt was an Tonnage weg, bis er seinen Truck leergeliefert hat – und das Tag für Tag. Der verbrennt mehr Kalorien und erreicht eine höhere Muskelaktivierung als die meisten Freizeitathleten abends im Fitnessstudio. Jeder Büroarbeiter würde bei so einem Pensum binnen einer Woche schlappmachen und binnen zweier sich krankmelden. Diese Job-Athleten brauchen keinen Fitness-Tracker am Handgelenk, der ihre täglich 10.000 Schritte runterzählt. Über so ein Schonprogramm für Warmduscher und Turnbeutelvergesser würden die nur lachen.

Dritte Seite des Problems: Kostensteigerung. Einige Versender überlegen bereits medienwirksam, künftig Retouren gebührenpflichtig zu machen, was daneben Klima, Ressourcen und Umwelt zugutekommen würde. Es wird auch erwartet, dass die Versandtarife für Pakete deutlich steigen werden. Diesbezüglich haben wir hierzulande noch Glück. In anderen Ländern ist es deutlich teurer. In Schweden zum Beispiel bezahlt man mehr als 13 Euro für eine 2-Kilo-Sendung; bei uns lediglich 3,99 Euro. Der Preis als Regelmechanismus des Marktes fällt also praktisch aus; der Markt leidet an einer Fehlallokation von Ressourcen und produziert externe Kosten für Klima, Luft und Umwelt.

Es wäre schon viel gewonnen, wenn wir unsere Zusteller nicht derart verschleißen würden. Wir brauchen nur die Augen aufzumachen: Da gibt es Kolleginnen und Kollegen, die bei Wind und Wetter in Goretex-Faser trocken und warm durch das Hundewetter zu unserer Haustür hetzen. Während andere in verwaschenen Jeans rasch eine private Vliesjacke übergezogen haben, die spätestens an der zweiten Haustür völlig durchnässt ist. Keinen Hund würde man bei so einem Wetter vor die Tür jagen. Aber unsere Zusteller. Dann kleidet sie auch entsprechend ein!

2 Kommentare zu „Wo bleibt mein Paket?

  1. Hallo Evi,
    wieder ein sehr wichtiger und interessanter Artikel, wie alle, die ich bisher in Ihrem Blog gelesen habe. Die Zusteller sind moderne Sklaven, wie die Mitarbeiter in einer Textilfabrik. Oft sind es Migranten,die keinen anderen Job finden (Mist). Das sie fairer bezahlt werden, ist ein sehr dickes Brett, dass man bohren müsste. Was aber erwas verändern würde, die Regierung sagt, jedes Paket hat einen co2 Abdruck, also muss sich die Gebühr verdoppeln. Nicht von heut auf morgen, aber recht zügig. Des Weiteren muss natürlich die Retoure auch bezahlt werden. Ich denke, dass es dann doch weniger Bestellungen geben würde. Vielleicht findet man dann doch das Einkaufen in der Stadt wieder besser.
    Die Regierung sollte eingreifen sage ich, weil nur die Rückkehr zur sozialen Marktwirtschaft diese Auswüchse bremsen kann. Wir erleben nun seit Jahrzehnten, dass es der Markt alleine – nicht regelt. Der Staat ist sicher kein besserer Unternehmer, kann aber durch vernünftige Eingriffe Schifflagen etwas gerader rücken. Wenn man sich die ersten 15 Jahre nach dem Krieg anschaut, wird klar, warum die BRD so erfolgreich war. L.Erhard hat gegen viele Widerstände die soziale Marktwirtschaft sehr erfolgreich durchgeführt. Noch einmal zu den Boten. Auch hier fehlt die Moral, um etwas zu ändern. Ein persönliches Beispiel: ich gehe seit über 20 Jahren zum gleichen Friseur, obwohl nicht billig und mein Einkommen gering. Warum? Er leistet gute Arbeit, ist sehr freundlich, er bezahlt seine Mitarbeiter fair, lädt diese zum Essen ein, alle 2 Jahre eine Fahrt nach Berlin. Da zahle ich gerne den Preis und ein Trinkgeld gibt es auch. So sollten wir miteinander umgehen. Macht das Leben reicher.
    Viele Grüße
    Peter Potz

    1. Es ist sehr angenehm, gerade in einem anscheinend ausschließlich wirtschaftlichen Kontext den Ausführungen eines Menschen zu folgen, der wie Sie eine klare moralische Position einnimmt, artikuliert und vertritt. Scheint deutlich aus der Mode geraten zu sein. Oder aber Moral ist inzwischen zur elitären Beschäftigung aufgestiegen … Evi Hartmann

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