Von linear zu zirkulär

Was sind Lieferketten? Natürlich: linear. Pfeilgerade von der Quelle zur Senke. Von der Rohstoff-Mine und dem ersten Verarbeiter über Großhändler und Lieferanten bis zum Produkthersteller, dem Handel, dem Endkunden – und nach Gebrauch ab in den Müll. Auch „Wegwerfgesellschaft“ genannt.

In der Versorgung der Nationen zeichnet sich ein neues Paradigma ab: Viele Lieferketten werden zwar weiterhin noch linear verlaufen, doch immer mehr auch zirkulär. Zum Beispiel in den Liefernetzwerken der Elektro-Auto-Hersteller: Ohne Kobalt, Lithium und Nickel lässt sich in Zukunft kein E-Auto mehr produzieren. Deshalb arbeiten die Hersteller daran, immer mehr recycelte Rohstoffe in die Produktion einzubringen. Macht Sinn in Ländern wie Deutschland, die über keine großen eigenen Rohstoffvorkommen verfügen. Da wird es immer wichtiger, die knappen Rohstoffe nach Endverbrauch der Produkte, in die sie verbaut wurden, nicht mehr wegzuwerfen, sondern rückzugewinnen. Auch im Hinblick auf die in jüngsten Tagen vom Krieg geschüttelte geopolitische Lage.

China zum Beispiel ist für Deutschland das wichtigste Förderland für seltene Erden. Deutschland importierte im Jahr 2018 rund 4.800 Tonnen der seltenen Erden. Wie steht es mit deren Rückgewinnung? Der fünfte Circularity Gap Report zeigt, dass die Weltwirtschaft bislang lediglich zu 8,6 Prozent zirkulär ist. Anders gesagt: Rund 91 Prozent werden immer noch weggeschmissen. Nur knapp 9 Prozent aller in die Produktion von Gütern einfließenden Stoffe werden recycelt. Und das bei immer noch steigendem Rohstoffbedarf weltweit.

Wenn China also demnächst wegen Eigenbedarf Lieferverträge für seltene Erden kündigen sollte, erleben wir etwas, verglichen mit dem der Gas-Stopp Russlands wie eine Nickligkeit anmutet. Die Räder stünden in vielen Industrien still. Es sei denn, sie könnten zirkulär mit recyceltem Material weiterlaufen. Das gilt natürlich nicht nur für China, sondern für alle Lieferanten von Rohstoffen und Materialien, die hierzulande nicht gefördert werden. Also für Stoffe, die heute noch in den Müll wandern, obwohl sie recycelt werden könnten. Die Technologien dafür gibt es bereits weitgehend. Wir müssten das alles nicht mehr wegwerfen. Aber wir machen das und reden gleichzeitig von Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung und Klimakrise. Reden ist leichter als Recycling. Was könnten wir tun?

Zum Beispiel eine Rücknahmepflicht einführen, verbunden mit einer Rückgewinnungspflicht. Dann würden Produkte so gebaut werden, dass ihre Materialien gut, schnell und effizient rückgewonnen werden könnten. Zum Beispiel die Waschmaschine: Selbst wenn sie nicht mehr läuft, kann sie noch „ausgeschlachtet“ werden. Findige Monteure machen das bereits und verkaufen zum Beispiel aus ausrangierten Maschinen ausgebaute Türen unter der Hand an Endkunden, die sich ein wenig zu sehr auf die Tür ihrer Maschine abgestützt und sie dabei demoliert haben. Warum unter der Hand? Weil der Arbeitgeber des Monteurs auf gebrauchte Ware gesetzlich Gewähr geben müsste, das aber aus offensichtlichen Gründen nicht kann. Warum denkt der Gesetzgeber da nicht zirkulär und ändert das Gewährleistungsrecht?

Es gibt bereits eine gesetzliche Rücknahmepflicht von Handel und Herstellern für kleinere Elektrogeräte. Doch Rücknahme bedeutet nicht automatisch Wiederverwertung. Rücknahme bedeutet zu oft noch: Handel und Produzenten nehmen zurück und werfen dann weg. Die sollen das aber wiederverwerten! Warum machen die das oft nicht?

Weil wir in einer Marktwirtschaft leben (was erstaunlich vielen Menschen nicht bewusst ist). Deren Regelungsmechanismus ist der Preis (was erstaunlich viele Menschen nicht wissen). Und der Preis für Rückgewinnung ist derzeit noch höher als der Preis für Förderung und Handel von Rohstoffen, was uns zur zweiten Handlungsoption bringt:

Rohstoffe angemessen bepreisen, das heißt besteuern.

So eine Steuer heißt Pigou-Steuer. Sie dient nur in zweiter Linie fiskalischen Zwecken (Einnahmen für den Staat) und in erster Linie der Verhaltenssteuerung von Marktteilnehmern, wenn der eigentliche Steuerungsmechanismus Preis „vergessen“ hat, zum Beispiel externe Kosten (Euphemismus für „Nachhaltigkeit“) einzupreisen. So eine Marktwirtschaft ist schon eine tolle Sache, wenn man sie versteht, was auf gesellschaftlicher und medialer Ebene mit jedem Monat weniger der Fall ist. Und erst die unsozialen Medien! Um einen Spruch von Henry Mintzberg zu variieren:

Die meisten Menschen leben in einer Marktwirtschaft, aber nur die wenigsten verstehen, wie sie funktioniert (Mintzberg sagte das ursprünglich über Unternehmen).

Doch zurück zu den Rohstoffen: So teuer sie zum Beispiel in Form von seltenen Erden auch sind, sind sie noch zu billig – für eine Kreislaufwirtschaft. Würde man Rohstoffe geeignet und ausreichend besteuern, wäre es billiger, sie wiederzuverwerten, anstatt sie nach Gebrauch wegzuwerfen. In diesem Falle würden Steuern dann wirklich etwas steuern (und nicht nur den Staat alimentieren). Wirtschaftspolitik ist echt interessant, wenn man mal versteht, wie ein Markt funktioniert. Wer versteht das? Wer hebt die Hand?

So sinnvoll Recycling daher auch wäre: Recycling-Technologien sind bislang vielfach noch zu teuer. Da klafft eine Preislücke, die erst geschlossen werden muss. Entweder durch eine Pigou-Steuer oder den nächsten Krieg. Die Steuer wäre vorzuziehen. Es muss leider für uns alle teurer werden, wertvolle Rohstoffe einfach wegzuwerfen. Es muss billiger werden, sie in den Kreislauf zurückzugeben. Dann machen wir das auch. Denn so funktioniert nun mal der Mensch: Vernunft kennt er nicht – bis es an den Geldbeutel geht. Deshalb modern in deutschen Schubladen auch Millionen ausrangierter Handys vor sich hin mit Tonnen von wertvollen Rohstoffen darin. Dort liegen sie so lange, bis es was kostet. Weil wir so unvernünftig sind. Aber freitags zur Demo. Könnte mal jemand dafür demonstrieren, dass wir Rohstoffe rückgewinnen?

Bei den Pfandflaschen funktioniert das schon: Wir geben sie brav zurück. Weil wir dafür Knete kriegen. Falls wir nicht mehr zur Schule gehen. Pfandsammler verdienen sich rund um Schulen eine goldene Nase, weil insbesondere Schülerinnen und Schüler gerne und viele Pfandflaschen wegwerfen. Aber freitags dann … das hatten wir ja schon.

Oder die Mode hilft uns. Einer unserer Doktoranden zum Beispiel trägt gerne Cradle-to-Cradle-T-Shirts. Sie funktionieren wie die Natur, die ebenfalls keinen Abfall kennt, sondern alles wiederverwertet. Alles am T-Shirt verrottet (was normale T-Shirts nicht schaffen: Ihre Nahtfäden sind quasi Sondermüll für die Ewigkeit). Das ist zirkulär: Entweder das alte Produkt geht biologisch zurück zur Natur oder technologisch in ein neues Produkt über. Zirkulär ist das neue Grün; zirkulär ist das neue Gut; zirkulär ist das neue Richtig. Wie die Oma sagte: Wir werfen nichts weg! Alles kann man nochmal zu was gebrauchen.

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