5-Sterne-Bewertung im Internet? Alles wird heutzutage bewertet: Handy, Kopfhörer, Waschmaschine, Beziehungspartner, Lehrer, Firmen. Aber jetzt mal ehrlich: Juckt das wirklich jemanden?
Beeinflusst so ein Sternchen tatsächlich unsere Kaufentscheidung? Oder sind Sterne-Bewertungen lediglich Distinktionsinstrumente für Selbstdarsteller und Wichtigtuer? Wann haben „nur“ zwei Sterne Sie das letzte Mal von einem Kauf abgehalten? Wann haben deren fünf Sie zum Kauf animiert – einer Zitrone, wie sich hinterher herausstellte? Tatsächlich gibt es Zahlen dazu (zum Beispiel vom Hamburger Meinungsforschungsinstitut Splendid Research).
Laut deren Umfrage finden 65 Prozent der Befragten die Sternchen wichtig – beim Kauf von Haushaltselektronik. Das ist zugleich die höchste Prozentzahl der Befragung. Also selbst bei Haushaltselektronik, wo wir Konsumenten anscheinend die höchste Sterne-Hörigkeit zeigen, ist diese Hörigkeit nicht einmal annähernd hundertprozentig; es besteht Hoffnung. Hoffnung dahingehend, dass selbst fünf Millionen 5-Sterne-Rezensionen für ein Produkt zumindest nicht alle von uns blind dazu verführen, ein Produkt zu kaufen, dass für fünf Millionen passt, doch nicht für uns.
Bei Getränken finden dann nur noch 34 Prozent die Kundenbewertungen mit Sternchen wichtig. Wenn es um den Gaumen geht, vertrauen wir dem Gaumen und nicht den Sternen von Leuten, die offensichtlich nicht nach unserem Geschmack sind. Eine österreichische Studie beantwortet darüber hinaus die Frage: Wer vertraut den Sternen wie stark? Raten Sie mal: Wieviel Prozent von uns Medien-Nutzern lesen die Sternebewertungen „immer“? Es sind nur 18 Prozent. „Häufig“ und „ab und zu“ je 27 Prozent.
13 Prozent schauen „nie“ zu den Sternen. Eine ermutigende Zahl, wenn man weiß, wie viele Unternehmen Geld damit verdienen, sich für Fake-Bewertungen kaufen zu lassen. Das ist inzwischen eine (gar nicht so) kleine Branche. Ganz zu schweigen von Sabotage-Bewertungen für Hotels und Restaurants, die mit Hilfe einer erfundenen Lebensmittelvergiftung ganz schnell kerngesunde Betriebe ruinieren können. Es lebe das Internet! Was wurde uns alles in unserer Jugend versprochen! Fliegende Autos! Soziale Gerechtigkeit! Perfekte Androiden-Partner fürs Leben! Und was haben wir bekommen? Rufmord mit Sternchen. Schöne neue Welt.
Generell gefragt: Wie wirken Kundenrezensionen überhaupt auf andere Kunden? Dazu gibt es nicht nur empirische Daten, sondern tatsächlich auch – Lob sei dem Forscherdrang – mehrere Theorien. Zum Beispiel von Tajfel und Turner die Theorie der sozialen Identität, die sehr grob vereinfacht sagt: Meine Peer Group ist meine Identität! Etwas weniger grob formuliert versucht die Theorie das Zustandekommen von Prozessen und Konflikten zwischen Gruppen zu erklären. Doch grau ist jede Theorie.
Bunt dagegen Experimente wie das von Nailya Ordbabyeva, die – wie üblich – mit zwei Gruppen experimentierte. In die eine steckte sie Fans der amerikanischen National Football League, in die andere Leute, die mit Football nichts anfangen können. Beide Gruppen bekamen eine miese Bewertung zu einem Fan-Pullover der NFL zu lesen. Wie reagierten beide? Worauf tippen Sie?
Natürlich: Die NFL-Fans haben „Pffft!“ gemacht und die schlechte Bewertung ignoriert! Oder?
Fast – und das erklärt die Theorie der sozialen Identität perfekt. So perfekt, dass wir dabei noch etwas über uns lernen können. Das Experiment zeigte: Der NFL-Fan tut es nicht automatisch ab, wenn jemand „seine“ Marke beleidigt. Denn nicht die NFL determiniert seine soziale Identität, sondern seine soziale Nähe zum Rezensenten. Der NFL-Fan schaut erst mal nach, wie nahe ihm der Rezensent sozial steht. Ist er zum Beispiel Maler wie der Rezensent auch, dann glaubt er der 1-Sterne-Bewertung eher. Wertet dagegen eine BWL-Professorin „seinen“ NFL-Pulli ab, ignoriert der Maler mich.
Ich als Professorin kann die Kaufabsicht des Malers und NFL-Fans kaum negativ beeinflussen, selbst wenn ich minus 20 Sterne geben würde. Im Gegenteil – die Kaufintention des NFL-Fans steigt sogar. Das lässt lediglich tief blicken in die Käuferseele. Im Grunde unserer (sozialen) Persönlichkeit leben wir immer noch in dieser Höhle im Neandertal und glauben blind allem, was der eigene Clan sagt – und zum Teufel mit dem, was der Clan eine Höhle weiter zu wissen oder zu schwurbeln glaubt!
In einem zweiten Experiment zeigte die Forscherin, wie Trolle sich im Internet selbst demontieren: Wer mehrfach trollt, dem glaubt man nicht, auch wenn er ausnahmsweise die Wahrheit spricht. Das wollten wir doch schon lange hören: Das Internet hat ein Selbstkorrektiv! Wir sind nicht ganz so leichtgläubig, wie wir uns manchmal vorkommen.
Was bei dem Experiment noch herauskam: Eine supermiese Bewertung kann sogar ein supertoller Kaufanreiz sein – wenn sie von einem ausgewiesenen Troll kommt. Das kennen wir vom Kino-Besuch. Der doppel-promovierte Movie-Rezensent der überregionalen Tageszeitung zerreißt eine Neuerscheinung, zum Beispiel „Black Adam“ mit Dwayne Johnson – dann muss ich ihn sehen! Den Film, nicht den Kritiker. Denn auf den Geschmack des Rezensenten kann ich mich verlassen: Alles, was er runterrezensiert, delektiere ich. Gut, wer heutzutage weiß, welcher Stern die Richtung weist.
Ich hatte in der Vergangenheit immer bei Anschaffungen auf die Bewertungen geschaut. Inzwischen ziehe statt dessen die Stiftung Warentest öfters hinzu. Wenn ich Bewertungen zu Produkten lese, dann die Negativen. Daraus kann ich meistens mehr Ableiten als von den Positiven. Aber im Endeffekt sind sie für mich nicht entscheidend, ob ich das Produkt kaufe oder nicht.
Da haben Sie, lieber Norbert, eine pragmatische Heuristik entwickelt und gleichzeitig eine sinnvolle Ergänzung zu unserem Blog geliefert: Stiftung Warentest – natürlich! Christoph Küffner