Ziele setzen reicht nicht

Wir alle wollten schon mal abnehmen. Wir stellen uns also auf die Waage, erschrecken und denken: 3, 4, 5 Kilo müssen runter! Wenn man so wollte, würde man das ein „Ziel“ nennen. Leider ist beim Abnehmen die Empirie relativ gut: Rund 90 Prozent aller Abnehmziele werden kurzfristig nicht erreicht oder langfristig nicht gehalten. Das entspricht in etwa auch der Misserfolgsquote bei einer anderen Art von Zielen: bei den guten Vorsätzen zum neuen Jahr. Warum?

Weil ich mir noch so viele Ziele setzen kann, wenn es einzig und allein nicht auf Ziele ankommt, sondern auf Maßnahmen und Volition (im Gegensatz zur meist üppig vorhandenen Motivation die Fähigkeit, motiviert angefangene Dinge auch bis zum Ende durchzuziehen). Und was bestimmt seit Jahr und Tag die Klimadiskussion? Richtig.

Klimaziele.

Dabei hätten wir es so nötig, über das zu reden, was wirklich etwas bewirkt. Weil die Entwicklung der letzten Jahre relativ eindeutig ist, wie die Zahlen zeigen, zum Beispiel: Die vergangenen acht Jahre waren die heißesten seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1881. In Europa sind die Temperaturen in den vergangenen 30 Jahren im Schnitt dabei um ein halbes Grad pro Jahrzehnt gestiegen. Damit stiegen und steigen sie doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt. Europa erhitzt sich zweimal schneller als die übrige Welt; wer weiß, warum.

Nicht nur deshalb kommt die Weltorganisation für Meteorologie zum Schluss, dass die Ziele des Pariser Weltklimaabkommens nicht mehr erreicht werden können. Das ist sozusagen der Kreislauf der organisierten Ohnmacht, des planbaren Versagens: ehrgeizige Ziele setzen – Monate verstreichen lassen – ehrgeizige Ziele verfehlen – das Versagen verdrängen, verschweigen, verleugnen (Freuds drei große V’s) – noch ehrgeizigere Ziele setzen – et cetera ad infinitum; respektive: finit ist das Ganze dann schon, wenn mal Sylt versunken ist und sich die Steppe im unbewohnbar gewordenen Stuttgarter Talkessel breitgemacht hat. So weit zum Thema „Ziele“.

Anderes Thema: Maßnahmen. Betrachtet man diese, wird schnell klar, warum viel mehr über Ziele als über Maßnahmen klimadiskutiert wird: Jene Länder, welche die Luft am meisten belasten, sind gleichzeitig oft jene, die am wenigsten dagegen unternehmen. Und das aus guten Gründen.

Denn meist sind die größten Klimaschädiger nicht gleichzeitig die größten Klima-Opfer. Beispiel Puerto Rico. Laut Climate Risk Index ist es das Land mit den größten und meisten Naturkatastrophen zwischen 1999 und 2019. Gleichzeitig ist Puerto Rico nicht unbedingt für seine rauchenden Schlote und Smog-produzierenden Verbrenner-Massenverkehr bekannt. Das ist das Schöne an den externen Effekten der VWL: Es trifft nie die Richtigen. Heiliger St. Florian, verschon‘ mein Haus, zünd‘ andere an.

Betrachten wir die Hitliste (2021) des stärksten CO2-Ausstoßes pro Einwohner. 1. Platz: Saudi-Arabien. Danach Kanada, Australien, China auf Platz 7, Deutschland auf Platz 9. Das Bild relativiert sich mit den absoluten Zahlen des Ausstoßes in Millionen Tonnen: China ist weltweit führend mit 31 Prozent Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen (2021). Danach die USA mit 13,5 Prozent. Deutschland mit einem CO2-Ausstoß von zwei Prozent liegt an 7. Stelle.

Nun könnte man über die Regierungen der Welt schimpfen, die es einfach nicht gebacken kriegen. Aber funktioniert das in kleinerem Kreis etwa besser? In Familien, Vereinen, Gemeinderäten, ja sogar schon Beziehungen? Sitzen drei Leute um den Tisch, hört man vier Meinungen – und keine effektiven oder effizienten Moderationsmechanismen; s. soziale Medien: Jeder hat eine Meinung und prügelt verbal auf alle Andersgläubigen ein. Streitkultur? Intelligenter Diskurs? Fehlanzeige. Unsere Geräte sind smart, wir sind es nicht.  40.000 Jahre moderne Zivilisation und es gilt immer noch, was Niklas Luhmann sagte: Kommunikation ist unwahrscheinlich. Wie reden wir so miteinander, dass a) dabei etwas herauskommt, das wiederum b) auch so umgesetzt wird? Das wäre ein interessantes Forschungsgebiet. Wen interessiert’s?

100 Milliarden Euro wurden bereits auf einer der Vorgänger-Konferenzen beschlossen als Ausgleichszahlungen für Klimaschäden. Diese 100 Milliarden kamen nie vollständig zusammen und damit auch nicht an. Das ist also eine unbeglichene alte Rechnung, die jetzt natürlich die Verhandlungen um das Zustandekommen und Auszahlen des neuen Schadens-Fonds sabotiert. Jetzt kann jeder potenzielle Einzahler einwenden: „Ihr habt das letzte Mal ja auch nicht bezahlt, also warum sollten wir jetzt blechen?“ Und so geht die Sonne unter und wieder auf und scheint weiter, aber dafür immer heißer, auf Gute wie Böse.

2 Kommentare zu „Ziele setzen reicht nicht

  1. Moin Evi,
    leider wird dies von den Meistens falsch gedacht. Ziele setzen – ja, aber viel wichtiger ist über den Weg (die Maßnahmen) dorthin nachzudenken. Diese Wege müssen machbar sein, sonst erreiche ich die Ziele nie. Beim Klima muss die Regierung für Rahmenbedingungen sorgen und ev. helfen. Sie muss verständlich reden, um die Menschen auch mitzunehmen. Z. Zt. wird nur „gelabert“. Medien verbeiten Angst und damit große Unsicherheit. Dazu hat Corona und der Krieg für viele das Klima „ausgeschaltet“. Leider gibt es zu wenig Menschen die z.B. Ihr Buch oder Sven Plöger uvm. lesen. Sie erreichen fast nur Menschen, die ohnehin informiert sind. Die Medien müssten „verpflichtet“ sein, jeden Tag in den Nachrichten auch positive Meldungen zu bringen mit tollen Beispielen, was in allen Bereichen schon an Nachhaltigkeit gemacht wird. Denn wie mit den Büchern, ist es auch mit plan b im ZDF, er werden zu wenig Menschen erreicht. Viele brauchen einfach“eine Anleitung“, wie sie etwas machen sollen. Man muss immer wieder ganz deutlich sagen, dass auch viele, viele kleine Schritte irgendwann sehr groß sind. Herr Habeck hat ein sehr interessantes Buch geschrieben, wie wichtig eine offene und vielfältige Sprache für die Demokratie und die Politik ist. Den nur wenn wir offen Reden und zuhören, kommen wir weiter. Wer ständig Angst hat etwas Falsches zu sagen, sagt nichts mehr oder nur noch Inhaltsloses. Und dies hat in der letzten Zeit fast „bizarre“ Formen angenommen. Ich hoffe, wir sind noch nicht am Ende und wünsche Ihnen in schönes Weihnachtsfest und erfreuen Sie uns Leser weiter mit interessanten Artikeln.
    Alles Gute, bleiben Sie gesund und haben Spaß am Leben – Peter Potz

    1. Zum Glück gibt es neben den ganzen Negaholikern und Panikmachern auch noch Menschen wie Sie, die zum Beispiel auf plan b vom ZDF hinweisen: Pflichtlektüre für jeden, der nicht rumlabert, sondern es wirklich besser machen will. Wenn wir nur oft genug drüber reden, schauen sich mehr Menschen solche Sendungen an – und machen es nach. Auch Ihnen, lieber Peter, frohe Festtage und im neuen Jahr in neuer Frische! Evi Hartmann

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