Gesetz mit unglaublichem Namen

Anfang des Jahres trat es in Kraft, das EU-Gesetz mit dem unglaublichen Namen, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, kurz: LkSG.

Es verpflichtet bislang nur große Unternehmen (ab 3.000 Mitarbeitenden, ab 2024 dann ab 1.000 Mitarbeitenden) zum sorgfältigen Umgang mit den Mitarbeitenden der unmittelbaren Lieferanten und teils auch mit der Umwelt.

Dazu müssen Unternehmen unter anderem einen Menschenrechtsbeauftragten ernennen und ein Risikomanagement einrichten. Stellt dieses ein Risiko fest, müssen unverzüglich Präventionsmaßnahmen ergriffen werden, beim Feststellen eines Gesetzesverstoßes ebenso umgehend Gegenmaßnahmen. Wer das nicht macht, riskiert Strafen von bis zu 8 Millionen Euro respektive bis zu 2 Prozent des Jahresumsatzes und eventuell den Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren. Vielen ist das zu schwach.

Sie verlangen auch eine zivilrechtliche Haftung der Verantwortlichen bei Verstößen gegen die Menschenrechte. Sie monieren, dass fast alle kleinen und mittleren Unternehmen vom Gesetz ausgenommen sind. Und vor allem beklagen sie, dass das Gesetz fast ausschließlich nur die Mitarbeitenden bei direkten Lieferanten schützt. Es erreicht nicht die entlegenen Quellen vieler Lieferketten, zum Beispiel nicht die Blutminen in Afrika oder die Sweatshops in Schwellenländern. Doch vielen ist dieses „schwache“ Gesetz bereits zu stark.

Denn es ist ein starker Anreiz, den eigenen Firmensitz einfach aus der EU auszulagern. Außerdem führt es keine Blacklist. Das heißt, wenn ein Unternehmen ein Schwarzes Schaf unter den direkten Lieferanten ausmacht, müssen das auch alle anderen Unternehmen in maximal ineffizienter Arbeit auch für sich selbst tun, da keiner vom anderen weiß – eben weil es von Gesetzes wegen keine Blacklist gibt. Und auch keine Whitelist mit unbedenklichen Lieferanten.

Das Gesetz berücksichtigt auch nicht die Monopol- oder Oligopolstellung vieler Lieferanten; Beispiel Solarpanelen. Wird hier ein bestimmter Lieferant ausgelistet, landen noch weniger Solaranlagen auf deutschen Dächern, weil es für unersetzliche Lieferanten keine Alternative gibt. Und wie immer gilt die Diffusionstheorie der Gesetzgebung: Nur 4 Prozent der befragten Unternehmen sehen sich laut einer Umfrage des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik gut auf das LkSG vorbereitet. 70 Prozent sehen sich mittelmäßig bis sehr schlecht vorbereitet. Nur 13 Prozent der Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden haben volle Transparenz über ihre direkten Lieferanten. Nur 4 Prozent der Befragten wissen, was bei Risiken und Verstößen zu tun ist.

Man könnte nun sagen: Das gibt sich alles! In den ersten Wochen und Monaten kennen sich naturgemäß nur wenige Avantgardisten mit neuen Gesetzen aus. Das wird sich alles einspielen.

Selbst wenn das auch diesmal so kommt: Es bleiben die Kosten. Es dauert und kostet bereits heute schon Wochen, einen neuen Lieferanten auf Herz und Nieren zu prüfen, bevor man sich sicher genug ist, ihn zu listen. Das LkSG erhöht diese Dauer und damit die Kosten der Lieferantenprüfung und -auswahl – und zwar exponentiell (um den Begriff, wie es sich eingebürgert hat, nicht-mathematisch zu verwenden). Laut einer Studie des Dienstleistungskonzerns Coupa haben untersuchte Unternehmen im Schnitt 2.245 direkte Lieferanten. Auch Integrity Next hat Unternehmen untersucht und in dieser Auswahlgruppe einen Schnitt von 6.000 unmittelbaren Lieferanten festgestellt; einige Unternehmen haben jedoch mehrere zehntausend.

Diese riesige Menge erstmalig zu überprüfen und danach im Auge zu behalten wird Monate dauern und einen Personalaufwand erfordern, den viele Unternehmen gar nicht leisten können, selbst wenn sie genügend Leute am Arbeitsmarkt bekommen könnten, was sie wegen des Fachkräftemangels eben nicht können. Kein Wunder, dass 88 Prozent der von Coupa untersuchten Unternehmen bereits in Technologie zur LkSG-Durchführung investiert haben. Alle kostenpflichtigen LkSG-Ausgaben zusammengenommen rechnen Unternehmen mit Kosten zwischen 1,2 und 3,6 Millionen Euro. Nur die Großen können sich das leisten – mikroökonomisch betrachtet.

Makroökonomisch betrachtet sind viele unserer Produkte viel zu billig. Denn offensichtlich ist der Sklaven-Faktor nicht eingepreist: Der Preis menschenwürdiger Arbeitsbedingungen in der Lieferkette. Volkswirtschaftlich gesehen ist das Sinn und Zweck aller Lieferkettengesetze: externe Kosten zu internalisieren. Menschen und ihre Familien verhungern, weil die Lieferanten der Lieferanten der Lieferanten in fernen Ländern einen Hungerlohn bezahlen, der weit unter dem Living Wage liegt. Das Lieferkettengesetz sorgt nun für eine Lohnerhöhung, welche das Überleben der Familien sichert. Gleichzeitig ist Lohnerhöhung = Preissteigerung des Endprodukts: Wir zahlen drauf, damit andere Menschen überleben können. Oder wir verzichten auf Produktion und Konsum der verteuerten Güter, so dass noch mehr Menschen verhungern, weil sie dann ganz ohne Arbeit sind.

Makroökonomisch betrachtet hat so ein Lieferkettengesetz im Sinne des Wortes lebensrettende bis lebensbedrohliche Auswirkungen. Nur schade, dass das LkSG (noch) dhnicht die Lieferanten der Lieferanten der Lieferanten erreicht. Die Sklaven der Globalisierung bleiben weiter in Ketten.

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