Geister-LKW

70.000 LKW-Fahrer fehlen der Republik momentan. Letztes Jahr waren es noch 53.000 – die Tendenz steigt weiter. Einige Tageszeitungen verbreiten mit der monotonen Regelmäßigkeit eines Basso continuo, dass „Fachkräftemangel“ herrsche. Den logistischen Laien müsste mal jemand erklären, dass dies der Euphemismus des Jahrzehnts ist: Mit jedem Fahrer weniger kommt auch weniger in den Supermarkt-Regalen an. Oder deutlicher: Die Logistik bricht zusammen.

Seit Jahren klagen Einzelhandelsketten, dass sie die tausenden Filialen gerne öfter beliefern wollen und müssten – geht aber nicht. Die Kollegen hinterm Lenkrad fehlen. Hier ist das Maskulinum gerechtfertigt: Der Anteil Frauen am LKW-Steuer liegt – was schätzen Sie?

Bundesweit bei zwei Prozent. Bei den Auszubildenden sieht es besser aus. Besser, nicht gut: 8 Prozent.

Demnächst bleiben also noch mehr Regale leer, weil die Produkte zwar alle vorhanden, so weit es geht nachhaltig und erschwinglich sind – doch es fehlen die Fahrer, um sie im wörtlichen Sinne in den Handel zu bringen. Es sei denn, es kommt, was sich bereits am technologischen Horizont abzeichnet: autonome LKW (also Laster, die sich selber fahren).  Oder auch ferngesteuerte LKW; Name der Technik: Teleoperation. Zukunftsmusik?

Nein. Die ersten Teleoperationstests laufen bereits; autonome LKW sind schon weiter: Freightliner in den USA zum Beispiel steht kurz vor der Serienproduktion. Schwierigkeiten bereiten beim aktuellen Stand der technischen Entwicklung noch der Spurwechsel und das Erkennen anderer Fahrzeuge mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Doch wie Ingenieure und Programmierer bereits an vergleichbaren Schwierigkeiten bewiesen haben: Auch diese Probleme werden auf absehbare Zeit gelöst werden. Die geplante Markteinführung des autonomen Trucks ist für 2025 geplant. Auch eine mögliche Verwendung ist bereits geplant.

Zunächst werden autonome LKW beim Transport zwischen Hub und Hub eingesetzt werden: Ein Hersteller oder Lieferant liefert noch mit menschlichem Fahrer am ersten Hub an, dort werden die unterschiedlichen Güter gelagert, je nach Verwendung kommissioniert und die einzelnen Transporte auf langer Strecke vom ersten zum zweiten Hub übernimmt dann der Geister-LKW. Vom zweiten Hub auf die letzte Meile zum Beispiel zu Discountern, Supermärkten und Einzelhandelsfilialen fährt dann wieder der Mensch. Was ist der Engpass?

Ist beispielsweise der Gesetzgeber schon so weit wie die Technik? Es gibt zwar noch einige offene Fragen, nicht so sehr technischer, sondern moralischer und haftungsrechtlicher Art: Wer haftet, wenn trotz aller Technik doch mal was passiert? Der Fahrer kann ja nicht in Regress genommen werden. Aber dafür der Hersteller? Oder der Software-Lieferant? Doch, Überraschung: Der Gesetzgeber war schnell, das einschlägige Gesetz liegt bereits vor; das Gesetz zum autonomen Fahren.

Was noch nicht erlaubt ist, aber intensiv getestet wird: Platooning. Der Begriff ist etwas irreführend aus dem militärischen Sprachgebrauch entlehnt – auf gut Deutsch würde man „Kolonne fahren“ sagen. Mit einer Besonderheit: Nur im vordersten LKW sitzt ein menschlicher Fahrer. In allen anderen, die dicht hinter ihm herfahren, sitzen nur Hochleistungsrechner, die alles nachmachen, was der Kolonnenführer vormacht. Maschinen machen das exakter als Menschen, so dass der Mindestabstand zwischen den Stoßstangen auf 15 bis 21 Meter reduziert werden kann – und schon haben wir weniger Staus auf den kolonnenfähigen Straßen; zum Beispiel auf Autobahnen. Platooning spart natürlich auch Diesel (oder bald Wasserstoff?), wegen des Windschatteneffekts und dem Wegfall von Elefanten-Rennen.

Teleoperation wird ebenfalls bereits ausgiebig getestet; zum Beispiel in einem Pilotprojekt mit dem Münchner Start-up Fernride, dem Hamburger Hafen, VW und DB Schenker. Wie muss man sich das vorstellen? Ungefähr so: Der LKW fährt im Hamburger Hafen herum, niemand sitzt in der Fahrerkabine, der „Fahrer“ sitzt vielmehr in der Zentrale hinter seinem Schreibtisch, schaut auf seinen PC-Bildschirm und steuert den LKW ganz wie in einem Computerspiel. Was soll das bringen?

Damit wird der Fachkräftemangel doch um kein‘ Deut besser. Es wird ja immer noch ein Mensch hinterm Joystick gebraucht! Ja, aber von diesen Menschen gibt es dann hoffentlich bald mehr. Denn so ein Computer-Job ist (leider immer noch) deutlich attraktiver als ein Job, bei dem man/frau sich die Hände schmutzig macht. Und nicht nur wegen der bequemen Arbeit am Bildschirm, sondern weil man dabei absehbar auch weniger Überstunden machen muss, näher am Zuhause arbeiten kann, bei entsprechender PC-Ausstattung sogar aus dem Homeoffice heraus. Doch das ist jetzt noch Zukunftsmusik. Bis dahin könnte man den Fahrermangel aktiv angehen, indem man den Beruf auch anders attraktiver macht. Das ist der eigentliche Knüller.

Denn das scheint sehr viel unmöglicher zu sein, als für viele Entwicklungsmilliarden eine komplett neue, autonome Fahrtechnologie zu entwickeln. Seit Jahren zum Beispiel ist der Park- und Rastplatzmangel entlang von Autobahnen die Katastrophe. Doch es geht offenbar sehr viel schneller, jahrelang eine neue Technologie zu entwickeln, als die nötigen Genehmigungs- und Budgetverfahren für neue Parkplätze durchzukriegen. Da rechnet man inzwischen nicht mehr in Jahren, sondern in Jahrzehnten.

Auch (einige) Arbeitgeber könnten selbst etwas für den Beruf tun. Wer sich auch nur fünf Minuten mit Brummi-Fahrern unterhält, hat zwei A4-Seiten von Beschwerden zusammen, über die man nur den Kopf schütteln kann und die man auch ohne große Kosten ausräumen könnte; Beispiel: Dem neuen Fahrer wird versprochen, dass er nicht abladen muss – was sich beim Eintreffen auf dem Hof der Kunden als Märchen herausstellt, und der faltbare Gabelstapler am Heck seines LKW ist defekt.

Über das Leid der Lasterfahrer hinaus geblickt: Wir leben mit einem Luxusproblem. Während es in vielen östlichen und südlichen Ländern sehr viel mehr Menschen als Arbeit gibt, ist es bei uns umgekehrt. Doch was uns an Manpower fehlt, machen wir an technischer Finesse wieder wett: ChatGPT, autonomes Fahren, autonome Fabriken, Internet der Dinge … Wir lassen die Maschinen für uns arbeiten. Bis wir uns so überflüssig gemacht haben, dass wir gar nicht mehr arbeiten müssen. Sondern nur noch wollen.