Kürzlich war der Internationale Frauentag, der mittlerweile auch schon eine ziemliche Tradition hat: Seit 1911 begangen, möchte er hauptsächlich mehr Aufmerksamkeit für die Gleichstellung der Geschlechter wecken und den medialen und gesellschaftlichen Blick auf noch verbleibende Ungleichheiten und fallweise Diskriminierungen lenken. Wie die meisten von uns mit hoher Wahrscheinlichkeit von der eigenen Organisation oder aus Klagen von Verwandten wissen: Es gibt immer noch zu viele davon.
Mir fällt dazu spontan die Assistentin der Geschäftsführung eines mittelgroßen Unternehmens ein, die das Gehalt einer Assistentin bezieht, aber wegen der gehäuften Abwesenheit ihrer Chefin praktisch drei von fünf Wochentagen den ganzen Laden schmeißt, wofür sie eigentlich ein Bereichsleiter-Gehalt bekommen müsste – aber eben nicht kriegt. Billige Arbeitskraft. Vielleicht sollte die Assistentin das Unternehmen wechseln und sich auf eine höhere Position bewerben?
Das wäre derzeit kein sicherer Ausweg. Denn lediglich 29 Prozent aller Führungspositionen (2021) in der deutschen Wirtschaft sind von Frauen besetzt. Damit liegen wir im internationalen Vergleich innerhalb der EU im unteren Drittel; was für eine führende Wirtschaftsnation zum einen peinlich, zum anderen rätselhaft ist: Sind wir wirklich so frauenfeindlich? EU-Spitzenreiter ist übrigens Lettland mit 46 Prozent. Was machen die Letten anders?
Haben sie eine Frauenquote? Seltsamerweise nein, jedoch trotzdem überraschend viele weibliche Fachkräfte: Jede dritte Lettin im erwerbsfähigen Alter hat einen Hochschulabschluss, hingegen nur jeder fünfte Lette. 60 Prozent aller Doktoranden sind Frauen und 50 Prozent der Absolventen in den MINT-Fächern – was keine Antwort auf die Frage ist: Wie schaffen die Letten das? Vielleicht verrät mir jemand die Antwort.
Derweil leiden wir hierzulande weiter unter dem Gender Pay Gap, der unbereinigt bei 18 Prozent, bereinigt bei 7 Prozent liegt; das heißt: Selbst wenn Frauen keine Babypause einlegen, bekommen sie 7 Prozent weniger für die gleiche Arbeit als männliche Kollegen. Wobei das die sprichwörtlichen Peanuts sind im Vergleich zu den 52 Prozent Zeit, die Frauen mehr für unbezahlte Care-Arbeit aufwenden als Männer: Haushalt, Kinder, Pflege von Angehörigen. Traurig, traurig. Sieht es wenigstens in unserer Branche besser aus?
In Logistik, Transport und Verkehr lag der Frauenanteil (2017) über alle Hierarchiestufen bei 20,7 Prozent – zur Hierarchiespitze wird das immer weniger. Das gilt quer durch die Branche: Nur 18,6 Prozent der deutschen Top100-Logistikdienstleister haben mindestens eine Frau in der Geschäftsführung. Das hat einen doppelten Effekt.
Zum einen ist das denkbar wenig. Zum anderen hält das einen Teufelskreis aufrecht: Je weniger Frauen an der Hierarchiespitze führen, desto weniger Vorbilder für junge Frauen gibt es, desto weniger Frauen steigen in Führungspositionen auf, desto weniger Frauen führen an der Hierarchiespitze – et cetera ad infinitum? Die Effekte der sogenannten Vorbildfunktion.
An der mangelnden Qualifikation von Frauen liegt das eher nicht. Sie suchen sich halt überwiegend andere Branchen, weil die Logistik immer noch als Männerdomäne gilt. Daran haben auch die Trucker Babes von Kabel 1 wenig geändert. Warum?
Weil Logistik zu viel Muskelkraft erfordert? Nein – die Erfindung des Gabelstaplers und der Servolenkung hat sich durchaus herumgesprochen. Vielmehr liegt es an der Befürchtung der ständigen Verfügbarkeit und Heimatferne, die Gift für die Familienplanung ist (bezeichnenderweise nicht für die meisten Männer). Was schade ist – nicht nur für die Frauen, sondern auch für die Firmen. Denn wie Studien zeigen: Eine höhere Diversität wirkt sich positiv auf den Unternehmenserfolg aus. Es liegt also durchaus im wirtschaftlichen Interesse von Unternehmen, für mehr Diversität zu sorgen. Führende Unternehmen versuchen das mit etlichen Maßnahmen.
Sie versuchen, ihre Berufsangebote attraktiver zu gestalten, indem sie zum Beispiel neue Geschäftsmodelle mit flexibleren Arbeitszeiten auflegen, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. Hilfreich sind auch Förderprogrammen, Mentoring und Frauen-Netzwerken. Da gibt es zum Beispiel den DamenLogistikClub (Emblem: roter Stiletto auf schwarzem Reifen), der Frauen insbesondere beim Networking unterstützt. Denn noch immer sind Männer beim beruflichen Netzwerkern engagierter als Frauen (privat mag das umgekehrt sein).
Und natürlich engagieren sich auch Bund und Länder. Das Bayrische Staatsministerium für Wohnen, Bauen und Verkehr beispielsweise schreibt zusammen mit der Logistik Initiative Bayern jährlich den Award „Logistik ist weiblich“ aus. Dieser zeichnet Logistikerinnen und Logistiker für couragiertes Handeln im Kontext von Chancengleichheit und Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus. Sein Ziel ist es, die Chancengleichheit und damit automatisch die Arbeitsplatzattraktivität zu stärken. Das ist bemüht und verdienstvoll, kann aber nicht das ausschlaggebende Übern-Hof-Kriterium bei der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz übertünchen; hierzu drei Statements von Bewerberinnen:
- „Ich wollte schon immer einen Laster steuern. Aber während ich auf dem Firmenhof an den LKWs vorbei zum Hauptgebäude ging, schauten mich einige der Leute mit diesem Blick an: Was will die denn hier?“
- „Ich mag es einfach nicht, wenn mir zehn Männer vor lauter Begeisterung zu dicht auf die Pelle rücken.“
- „Der erste Trucker auf dem Hof, den ich traf, sagte zu mir: ‚Du willst dich hier bewerben? Finde ich gut. Toller Beruf, wirste sehen. Ich begleite dich hinauf zum Personalbüro.‘“
Welche von diesen drei Bewerberinnen hat inzwischen wohl einen Ausbildungsvertrag unterschrieben? Das ist eine dämliche Frage. Schade nur, dass so wenige die Antwort kennen; das Operative Word heißt übrigens „Firmenkultur“. Wie schwer Kulturwandel ist, wissen wir alle, was keine Ausrede ist, ihn nicht zu versuchen. Einige versuchen ihn nicht nur, sondern sind auch erfolgreich dabei. Das zeigt mittelbar der Aufwärtstrend.
Denn in den letzten 10 Jahren stieg zum Beispiel der Anteil der Studentinnen im Bachelor-Studium Logistik von 25 auf 30 Prozent. Die Branche und ihre Berufe werden definitiv attraktiver für Frauen. Das läuft schon mal in die richtige Richtung – für beide Seiten. Denn jedes diverse Logistikunternehmen profitiert von den „typisch weiblichen Stärken“ (die durchaus nicht jede Frau zeigt) wie beziehungsfreundliche Kommunikation, Empathie und Verträglichkeit (im Sinne des „A“ im OCEAN-Modell der Charakterreife).
Es kommt auch in der Logistik nicht immer nur darauf an, knallhart die Preise durchzusetzen oder zu drücken. In Zeiten von Lieferketten-Disruptionen, Strukturbrüchen, Preisschocks, Kriegen und immer komplexeren Marktkonstellationen geht es immer mehr auch um Kooperation, strategische Allianzen und Koopetition, bei deren Gründung und Pflege diese typischen weiblichen Stärken eindeutig und nachhaltig von Vorteil sind – wie für viele andere Aufgaben innerhalb der Logistik auch.