Wir kennen sie alle. Wenn wir dem Discounter in den Hinterhof blicken, sehen wir sie manchmal in schwindelerregende Höhen gestapelt: die Europalette.
Eigentlich stimmt der Name nicht. Denn dieser allseits verbreitete Ladungsträger (auch ein schöner Begriff) wurde ursprünglich auf den Namen „Europoolpalette“ getauft (weil alle Paletten in einem Pool getauscht werden). Die Taufe war 1960.
Vor 1960 wurden, was man sich heute kaum vorstellen kann, die Güter unseres täglichen Bedarfs einfach so in Züge und LKWs verfrachtet oder eben auf höchst unterschiedlichen Ladungsträgern. Was natürlich dazu führte, wie jeder weiß, der Tetris spielt, mit mehr Koffern in den Urlaub fahren möchte als in den Kofferraum passen oder wer die Spülmaschine einräumt: Je unterschiedlich groß die Ladungsträger sind, mit denen ein LKW beladen wird, desto mehr Hohlraum wird automatisch mittransportiert. Das erhöht die Kosten pro Ladung, killt die Effizienz und schädigt Klima und Umwelt, weil sehr viel mehr LKWs fahren müssen als nötig. Daher die Europalette.
Weiterer Vorteil: ihre mehrfache Nutzung. So eine Palette kann sehr lange Zeit be- und entladen und mit dem Gabelstapler malträtiert werden. Sie wird benutzt, bis sie auseinanderfällt. Und selbst dann wird sie nicht entsorgt, sondern von offiziell lizenzierten Werkstätten repariert und instandgesetzt und danach wie ein Gebrauchtwagen zu ermäßigten Tarifen wieder verkauft. Übrigens, bei „Wer wird Millionär?“ war schon mal die Abschlussfrage: „Aus wie vielen Brettern besteht eine Europalette?“ Hätten Sie’s gewusst? Hätten Sie die Million abgeräumt?
Es sind elf. Oben auf der Abstellfläche sind es fünf, darunter sechs. Allein die Anzahl erklärt bereits, warum so eine Palette praktisch unkaputtbar ist. Dafür ist ihr gewerblicher Preis erstaunlich gering. Er pendelt um die 10 Euro und wird – wie bei Aktien – täglich festgelegt in Abstimmung auf Angebot und Nachfrage. Wer bezahlt ihn?
Nicht zwingend der Discounter, auf dessen Hof die Palette am Ende ihrer Reise steht. Denn für jede Palette, die er angeliefert bekommt, gibt er eine zurück. Das Ganze ist das vielleicht größte dauerhafte Tauschsystem der Welt. Es sind derzeit über eine halbe Milliarde Paletten weltweit unterwegs. Und natürlich: Ich kann meine alte, zerschlissene Palette, an der bereits zwei Bretter angeknackst sind, nicht gegen eine brandneue tauschen. Es gilt das Tauschprinzip: Qualität gegen Qualität. Nur Vergleichbares darf getauscht werden. Hat der Händler aktuell kein passendes Tauschgut, kann er dem Spediteur seine neue Palette auch abkaufen. Deshalb haben alle Händler tatsächlich ein so genanntes Paletten-Konto. Sie bezahlen, um das Sprichwort zu bemühen, also kleinere Beträge nicht „aus der Portokasse“, sondern vom Paletten-Konto.
So eine Palette war früher schwerer, wiegt aber heute immer noch 20 bis 22 Kilo, was erklärt, warum man sich derart abrackern muss, wenn man eine zum Zweck der Möbel- oder Brennholzbeschaffung mit nach Hause schleppt. Dafür, dass sie lediglich rund 20 Kilo wiegt, ist sie erstaunlich belastbar. Punktuell bis 1.500 Kilo. Wird ihre komplette Fläche gleichmäßig belastet, trägt sie sogar bis zu 4.000 Kilo. Die hält was aus.
Dass sie exakt 80 auf 120 cm misst, ist ebenfalls gut durchdacht: Mit diesen Maßen passen in den Laderaum eines 7,5-Tonners 15 und in jenen eines 40-Tonners 34 Paletten. Dabei garantiert dieses Maß, dass die Paletten sowohl längs wie auch quer eingestellt werden können.
Und wenn die Palette tatsächlich einmal ausgedient hat, kann sie komplett recycelt werden, da sie sortenrein aus Holz ist. Viele werden jedoch nicht recycelt, sondern bekommen ein zweites Leben als Gartenmöbel geschenkt. Das ist gerade im Trend. Das Internet ist voll mit Bildern von Paletten-Möbeln von Sesseln über Sofas bis zu Paletten-Tischen. Total angesagtes hippes Sofa für weniger als 100 Euro? Der Logistik-Chic hat seinen Charme.