Fleisch ist das Brot für Arme

Warum? Weil Fleisch inzwischen so billig ist wie Brot. Beim Discounter ist zum Beispiel ein Pfund Hackfleisch bereits für 2,33 Euro zu haben – Brot vom Bäcker ist teurer. Die Leute essen heute Fleisch so wie früher arme Leute Brot aßen. 60 Kilo Fleisch verdrückt jeder und jede Deutsche im Schnitt im Jahr, das ist mehr als ein Kilo pro Woche. Brot essen wir lediglich circa 40 Kilo jährlich.

In den 60er-Jahren noch war Mett eine Delikatesse und „Doppelfett-Stufe“ eine Verlockung. Da haben die Kinder am Mittagstisch noch gehört: „Iss wenigstens das Fleisch!“ Da blieb keine Schwarte und kein Wurstzipfel liegen. Heute ist aus dem ehemaligen Luxusnahrungsmittel so etwas wie das „täglich Brot“ geworden, dank dem radikalen Preisverfall (wobei das Wort „dank“ hier unangebracht erscheint). Je billiger Fleisch wird, desto mehr essen wir davon.

Und je mehr wir davon essen, desto schlimmer wurden in der Vergangenheit die Zustände in den Großschlachtereien. Tiere wurden gequält und Mitarbeiter in Baracken zusammengepfercht. Wie kann das sein? Wie ist das möglich? Warum lassen wir das zu?

Weil die Werkverträge es erlauben; von verschiedenen Arbeitgebern auch „Flexibilisierungswerkzeug“ genannt. Wenn der Großschlachter statt eigener Angestellter lieber Werkverträgler arbeiten lässt, kann er sie schneller loswerden als Angestellte mit gesetzlicher Kündigungsfrist – mit den in den Medien skandalisierten Folgen. Wenn der Werkvertrag den Schlachtern jetzt um die Ohren fliegt, warum haben sie dann nicht einfach Leiharbeiter beschäftigt?

Weil Leiharbeiter mehr Rechte haben. Ein Werkvertrag wird typischerweise über ein Arbeitsergebnis (ein „Werk“) abgeschlossen, wohingegen es bei der Leiharbeit um eine Arbeitsleistung geht. Wenn ich einen Werkvertrag abschließe, setze ich zum Beispiel fest: Der rumänische Schlachter am Fließband muss mir vier Schweinehälften die Minute liefern. Wäre er ein Leiharbeiter, stünde in seinem Arbeitsvertrag lediglich: „… ist beschäftigt bis zum …“ Per Werkvertrag ist der alte Akkord-Wahnsinn wieder in die moderne Arbeitswelt zurückgekehrt. Deshalb verteufeln alle den Werkvertrag.

Dabei ist der Vertrag nichts per se Schlechtes. Jemanden nicht für sein Sitzfleisch und bloßes Dasein am Arbeitsplatz zu bezahlen, sondern für das Werk, das Ergebnis, die Leistung, die er erbringt, ist zunächst eine sehr effiziente Variante des Äquivalenzprinzips: Jedem nach seinen Fähigkeiten und Leistungen. Das ist Leistungsgerechtigkeit: Bezahlt wird, was geleistet wird – et vice versa. Der Haken ist: Werkvertrag ist nicht Akkord. Wenn ich so viel leiste, dass ich den Akkord „breche“, also über meinem Akkord liege, kriege ich auch mehr Geld. Beim Werkvertrag ist es umgekehrt: Wenn ich die vier Schweinehälften nicht in der vorgegebenen irre kurzen Zeit schaffe, kriege ich Probleme und fliege demnächst raus.

Die Idee des Werkvertrags war eine gute Sache bei Aufgaben, die nicht zum Kerngeschäft eines Unternehmens gehören, bei denen es sich also nicht so gut auskennt, dass es die gewünschte Leistung von sich aus erbringen könnte. Bei den meisten Unternehmen sind das zum Beispiel IT-Projekte. Also schreibt die Firma das „Werk“ aus, das erledigt werden muss und der externe Auftragnehmer und Experte erledigt das Werk. Ist das vereinbarte Ergebnis erzielt, ist der Vertrag erfüllt und beide Vertragspartner gehen ihrer Wege bis zum nächsten Auftrag. Für Projekte und zeitlich begrenzte Aufgaben ist so ein Werkvertrag ideal.

Und genau an dieser Stelle sehen wir, warum der Werkvertrag in Schlachthöfen von vorne herein theoretischer Unfug war: Es gibt überhaupt kein zeitlich begrenztes Werk – sofern die Gesamtheit aller Konsumenten nicht aufhört, Schweineschnitzel zu essen, womit nicht zu rechnen ist. Ein Vertragstyp, der perfekt für Projekte ist, wurde für eine Aufgabe verwendet, die das Gegenteil eines Projektes ist; nämlich für den normalen laufenden, zeitlich nicht begrenzten Betrieb eines Unternehmens. Das war grob wider den Geist des Gesetzes.

Damit erklärt sich auch in großen Teilen, warum es zum Schlachtskandal kam: Man hat den Bock zum Gärtner gemacht, den Wagenheber zum Brotschneiden genommen. Das musste so kommen, da der Werkvertrag, der von vorne herein für eine Nebensache gedacht war, plötzlich für die Hauptsache eines Unternehmens, für seine Kernkompetenz eingesetzt wurde. Und warum?

Die am häufigsten von Politikern, Großschlachtereien und selbst einzelnen Ökonomen vorgebrachte Ausrede ist der Preis. Wir Konsumenten würden die Schlachtbetriebe quasi zu Massenmitarbeiterhaltung und zu Werkverträgen zwingen, da wir immer nur billig, billiger, schäppchenbillig haben wollten – was unter anderem die Firmen Porsche, Cartier und Rolex in den Ruin getrieben hat. Hoppla, die existieren alle noch und verkaufen munter weiter ihre hochpreisige Ware?

Dann scheint diese Ausrede nicht ganz zu passen. Völlig fischig riecht sie dann, wenn wir über den Tellerrand blicken, zum Beispiel nach Dänemark. In Dänemark nämlich gibt es was nicht? Werkverträge. Da sind die Schlachter in den Großschlachtereien direkt bei der Schlachtfirma angestellt und bekommen weit mehr als den deutschen gesetzlichen Mindestlohn von 9,35 Euro bezahlt, nämlich, was raten Sie?

Stolze 27 Euro. Wie kann das sein? Warum fürchtet man in Deutschland das Verschwinden des Schnitzels, sobald die Schlachter anständig bezahlte werden, während bei unseren Nachbarn die Verbraucher beim dreifachen Stundenlohn der Arbeiter immer noch munter Grillwürste brutzeln?

Wieder ist im Vorteil, wer rechnen kann und die Rechnung ist einfach und brutal und in den deutschen Leitmedien nur selten zu sehen: Die Lohnkosten haben überhaupt nur einen relativ geringen Anteil am Fleischpreis.  Was schätzen Sie?

Zwei bis drei Prozent. Das ist der eigentliche Skandal. Wenn wir hierzulande also den Mindestlohn oder sogar das dänische Dreifache bezahlen würden, würde der Fleischpreis pro Pfund unseres zitierten Hackfleischs lediglich von 2,33 Euro auf 2,38 Euro steigen. Das wäre dann immer noch unglaublich billig.

Das bedeutet: Der Skandal beim Fleisch hat wenig mit dem Preis und viel mit Gier zu tun. Wer auch noch diese besagten fünf Cent einstreichen möchte, ist einfach nur gierig. Die Massennachfrage wäre von den 5 Cent Aufschlag kaum beeinflusst. Geiz ist zwar geil, aber immer nur kurzfristig. Langfristig zahlt man immer drauf. Nichts ist so teuer wie billig, wie jeder Einkäufer weiß.

Der absolute Knüller jedoch ist: Selbst jene Großschlachter, die sich in Deutschland ultra-geizig zeigen, bezahlen in Dänemark das rund Dreifache des deutschen Mindestlohns. Und wenn es in Dänemark geht, dann geht es wohl auch hier. Denn nichts ist faul im Staate Dänemark. Im Gegenteil.

In Dänemark sind die Schlachthof-Mitarbeiter gewerkschaftlich organisiert und haben Betriebsräte. Dänemark fortschrittlicher als wir?

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