Brauchen wir uns noch?

3D-Drucker – kennt inzwischen jede(r). Aber die additive Fertigung? Sie erwächst sozusagen als Fertigungsstrategie aus der neuen Technologie: Wer druckt, fertigt nicht mehr, indem er zum Beispiel spanabhebend von einem Werkstück Material wegnimmt, sondern indem die Druckerdüse solange Material hinzufügt, bis das Teil fertig ist. Trotzdem fällt natürlich etwas weg. Nämlich die Supply Chain. Autsch.

Das große Wegfallen hat bereits begonnen. Während noch vor wenigen Jahren der 3D-Druck hauptsächlich für die Exponat- und Prototypfertigung eingesetzt wurde (Stichwort Rapid Prototyping), gibt es inzwischen ganze Industriezweige, die serienmäßig additiv fertigen. Der Drucker verdrängt die klassischen Maschinen auf dem Shop Floor – und damit Lieferanten und ganze Abschnitte der Supply Chain (nebenbei nimmt er Teile der Globalisierung zurück). Braucht man da überhaupt noch Logistiker und Supply Chain Manager?

Denn wenn ich drucken kann, brauche ich keine zehn Lieferanten für 20 Einzelteile, um mir daraus eine Komponente zusammenzuschrauben. Ich drucke mir das komplette Teil einfach selber. Airbus fertigt auf diese Weise zum Beispiel relativ komplexe Kabinenaufhängungen aus vielen Einzelteilen jetzt in einem Stück und einem Fertigungsschritt.

Diese sogenannten Brackets verbinden die Außenhülle des A350 mit der Kabine. Die Brackets aus dem Drucker sind viel leichter, weil der Drucker ein optimiertes Design möglich macht. Und billiger wird das Teil, trotz (deutlich) teurer Herstellungskosten, weil die Life-Cycle-Kosten sinken: Die Druckerteile werden leichter (Einsparung rund 1 Tonne pro Flugzeug bei Ausnutzung sämtlicher Druckmöglichkeiten) und das Flugzeug spart Kerosinkosten. Nebeneffekt: Die Supply Chain wird teilweise überflüssig. Was gut ist.

Denn die Störanfälligkeit weltweit verzweigter Liefernetze ist hinlänglich bekannt. Wie auch die hohen Kosten für die Pflege solcher störanfälliger und verzweigter Netzwerke mit vielen Lieferanten und Transportunternehmen, zusätzlichen Sicherheitsbeständen, langen Transportzeiten und üblichen Unzulänglichkeiten. All das fällt nun weg – und mit ihm auch die halbe, die ganze Supply Chain?

Ja, und das ist gut so. Fürs Supply Chain Management. Denn der clevere Supply Chain Manager wird natürlich zunächst jene Lieferanten per Drucker substituieren, die sowieso –euphemistisch ausgedrückt – ihren Lieferverpflichtungen notorisch schwankend nachkommen. Und alle sind dem Supply Chain Manager dankbar! Weil er die Fertigung sicherer und kostengünstiger macht. Wer hätte das gedacht? Der 3D-Drucker wertet das Supply Chain Management auf. Wenn der verantwortliche Manager clever ist und sich mit additiver Fertigung auskennt.

Wenn er oder sie noch cleverer sind, werden sie dreidimensional nicht nur die Lieferkette sicherer und kostengünstiger machen, sondern auch noch neue Geschäftsmodelle entwickeln und fürs eigene Unternehmen zur Marktreife bringen. Nie dagewesene Möglichkeiten bietet der Drucker beispielsweise für die Losgröße-1-Fertigung, für hoch kundenindividuelle Produkte. Was gestern noch einen Riesenaufwand bereitete, ist heute quasi per Knopfdruck möglich. Was das Supply Chain Management also upstream, an Lieferanten, verliert, gewinnt es dank Geschäftsmodell-Power downstream wieder dazu. Dadurch wird das Unternehmen produktiver, innovativer, wertschöpfender und attraktiver für Kunden.

Eben weil es so viele Vorteile bietet, greift die additive Fertigung um sich. Ab der kommenden Saison sollen zum Beispiel Formel-1-Motorengehäuse aus dem Drucker kommen (die allermeisten metallischen Legierungen können mittlerweile ‚gedruckt‘ werden). Auch die Einspritzdüsen von unter anderem General Electric (Flugzeugturbinen) und Siemens (Kraftwerksturbinen) werden bereits gedruckt, weil so ein effizienteres Design möglich wurde. Das ist eine große Chance fürs Supply Chain Management, wenn es sich der Herausforderung stellt und die neue Technologie beherrscht.

Denn dann kann und sollte es entscheiden, welche Fertigungsteile (zum Beispiel: Schrauben nein, Komponenten ja) druckergeeignet sind. Das hängt nämlich nicht nur von den technischen Möglichkeiten ab, sondern auch von Fragen wie: Welche additiv gefertigten Teile entwickeln die größten Einsparungspotentiale in der Supply Chain? Welche in Bezug auf ihre Lebenszykluskosten? Diese Fragen zu klären kann eine zentrale Aufgabe für das neue, dreidimensionale Supply Chain Management  werden – und damit das Supply Chain Management  strategisch bedeutsamer werden lassen. Das klingt nun so, als ob der 3D-Druck lediglich für Supply Chain Manager interessant wäre, die strategischen Ehrgeiz entwickeln. Das täuscht.

Die Frage ist viel existenzieller. Denn was, wenn der Konkurrent demnächst druckt? Das kann üble Folgen haben. Wie zum Beispiel in der Hörgeräte-Branche. Da stellten viele große Hersteller binnen nur zwei Jahren ihre Fertigung komplett auf additiv um.

Jene, die wie in vielen Branchen und Unternehmen üblich, der neuen Technologie mit der Devise „Erst mal abwarten wie sich das entwickelt“ begegneten, warteten zu lange. Sie existieren heute nicht mehr. Während es den druckenden Herstellern glänzend geht. Diese machen heute sozusagen Maßfertigung in Massenproduktion. Das ist gemein? Das ist der Fortschritt. Für alle, die ihn nutzen wollen. Wollen wir?