Was ging Ihnen heute schon voll daneben? Welcher schlimme Fehler unterlief Ihnen? Wie fühl(t)en Sie sich dabei? Blöde Frage: natürlich schlecht!
Wenn wir Mist bauen, empfinden wir fast körperlich Frust, Scham, Blamage, Versagen, Peinlichkeit, Selbstvorwürfe, Abwertung. Oft sagen diese Gefühle: Mach das nicht nochmal! Häufig beziehen wir diese Warnung auf die Tätigkeit, bei der uns der Fehler unterlief – und wir meiden sie künftig. Das ist übrigens der häufigste Grund, weshalb Diäten aufgegeben werden: Einmal gesündigt und schon werfen wir den Diätplan weg. Wir stellen den Versuch ein, abzunehmen. Weil die emotional schmerzhafte Botschaft des Scheiterns uns sagt: Scheitern tut weh, also mach das bloß nicht nochmal! Das sagt sie uns?
Nicht viele, aber einige Menschen bezweifeln das. Eine junge Managerin bei einem Industrie-Unternehmen zum Beispiel meint: „Wenn etwas daneben geht, denke ich nicht: Mach das nie wieder! Sondern: Mach das nie wieder so!“ Das nenne ich kluges Scheitern, erfolgreiches Scheitern: Man/frau stellt nicht die Versuche ein, sondern variiert die Versuche. Das ist nicht neu.
Schon Thomas Alva Edison „scheiterte“ viele tausend Mal, bevor die erste Glühbirne tatsächlich glühte. Schon Edison widersprach der negativen Konnotation von Scheitern. Er soll gesagt haben: „Ich habe nicht versagt, ich habe zehntausend Wege aufgedeckt, wie es nicht geht.“ Kluge Köpfe sagen auch: „Umwege erhöhen die Ortskenntnis.“ Scheitern ist kein Fehler – Aufgeben ist einer. Das wissen viele kognitiv, doch affektiv fühlen sie sich weiter mies, wenn etwas daneben geht. Warum?
Weil sie es persönlich nehmen. Sie verwechseln das Scheitern mit dem Gescheiterten. Tatsächlich sagt die Paradoxie des Scheiterns: Wer Scheitern erlebt, ist deshalb noch lange kein Gescheiterter. Ganz im Gegenteil: Nur wer etwas Neues, Innovatives, Kreatives, für ihn oder sie Ungewohntes oder gar nie Gedachtes, nie Probiertes, Bahnbrechendes, Geniales, Wegweisendes versucht, kann scheitern – und das ist gut! Wer nicht scheitert, macht etwas falsch. Viele mutige Menschen wissen das, zum Beispiel in Startups.
Investoren wissen: Nur eines von zehn Startups wird richtig erfolgreich sein – neun „scheitern“ mehr oder weniger. Trotzdem oder gerade deshalb haben etliche Startupper drei, vier Startups parallel laufen oder starten nach einem gescheiterten Versuch gleich den nächsten. Das zeigt auch der Deutsche Startup-Monitor: Ein Drittel aller Gründer hatte vor dem aktuellen bereits ein anderes Startup gegründet – oft „erfolglos“. Weil sie wissen: Nur wer „scheitert“ kommt voran; auch bekannt und beliebt als Fail Fast Culture, Fail Forward oder Fail Well.
Wer die Gründe des Scheiterns nüchtern und sachlich betrachtet, erkennt recht schnell, wie unsinnig es ist, Scheitern persönlich zu nehmen. Denn vier von fünf „Kategorien des Scheiterns“ sind eben kein persönliches Versagen, sondern allein den Umständen geschuldet:
- Die Idee ist grandios, aber die Zeit noch nicht reif dafür – oder bereits vorüber.
- Die Idee ist super, aber leider für keine ausreichend große Zielgruppe relevant.
- Die Idee ist prima, die Zeit dafür reif, die Zielgruppe groß genug – aber der kostenbedingte Preis einfach zu hoch.
- Die Idee ist prima, die Zeit dafür reif, die Zielgruppe groß genug, der Preis stimmt – aber der Nutzen ist unklar oder unscharf definiert.
- Alles passt – bloß die Idee nicht zu den Gründern und ihren Potenzialen.
Wie hinderlich und selbstbeschränkend unser verbreitetes „Lass das bloß sein!“-Verständnis von Misserfolg ist, zeigen die USA. Dort ist die Startup-Szene um ein Vielfaches größer als bei uns. Weil in Amerika Scheitern kein sozialer oder kultureller Makel ist. Wer hinfällt, steht eben wieder auf. Wer bei uns hinfällt, schämt sich erst mal heftig. Das nützt keinem und schadet uns allen. In vielen anderen Kulturen bleibt man in Krisen nicht mit der Nase in der Selbst- oder der sozialen Abwertung stecken, sondern lernt was draus und fängt halt von vorne an; wie Ginger Rogers und Fred Astaire (in „Swing Time“) singen:
„Nothing’s impossible I have found
For when my chin is on the ground
I pick myself up, dust myself off
Start all over again.”
Das ist das Rezept. Kleine und mittelständische Unternehmen, Startups und Startins sind so erfolgreich, weil sie schnell mal was ausprobieren, testen und wenn es nicht klappt eben zur nächsten Idee übergehen. Mit diesem Rezept ist man schneller, agiler, flexibler und auf Dauer erfolgreicher als wenn man immer nur auf ausgetret’nen Pfaden wandelt. Auf ausgetret’nen Pfaden erreicht man keine disruptiv neuen Märkte. Sie schützen auch nicht vor neuen, branchenfremden und mächtigen Konkurrenten.
Wer nachhaltig erfolgreich ist, meidet riskante Vorhaben nicht, sondern rechnet mit Misserfolgen, hat Verständnis fürs „Scheitern“ und steht schnell(er) wieder auf. Die legendären Fuck-up Nights gibt es inzwischen in über 80 Ländern: Menschen, Manager und Gründer erzählen unterhaltsam von ihren schlimmsten Fehlern und Missgeschicken – und alle applaudieren und hauen ihnen auf die Schulter. So macht man das. Anstatt mit dem Finger auf jene zu zeigen, die so mutig und innovativ sind, sich den Luxus des Scheiterns zu leisten.
Woran sind Sie heute schon „gescheitert“? Meinen herzlichen Glückwunsch! Freuen wir uns gemeinsam drüber, lernen wir was draus und machen es besser. Scheitern ist die grandioseste Chance, es besser zu machen. Genießen und nutzen wir diese Chance. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute aufs Neue.