Stille Helden des Alltags

Wer ist gemeint? Sie kommen nie drauf: intelligente Verkehrsampeln für Fußgänger. Sowas gibt es? Wo?

In Wien werden die intelligenten Helfer im Fußgängerverkehr gerade erforscht, konzipiert und demnächst montiert. Worin besteht ihre Intelligenz?

Sie können etwas, das ihre Vorfahren nicht konnten: Sie sehen via Kamera, wenn sich ein Fußgänger nähert, können seine Absicht, die Straße zu überqueren, zuverlässig erkennen und schalten danach auf Grünphase. Der Fußgänger muss nicht an der Ampel das Knöpfchen drücken und warten, sondern kann praktisch verzögerungsfrei über die Straße. Demnächst, wie gesagt, in Wien. Die TU Graz arbeitet seit drei Jahren am Konzept, das in diesen Tagen vorgestellt wurde.

Entscheidendes Bauteil der neuen Ampel-Intelligenz ist eine Kamera, die an der Ampel montiert wird. Sie kann in einem Bereich von 8×5 Metern Personen eindeutig als solche erkennen. Die Personen-Erkennung funktionierte früher auch schon in anderen Bereichen des Lebens, doch meist nur mit einer Reichweite von 2×3 Metern. Das jedoch ist zu knapp, um einen forsch voranschreitenden Menschen rechtzeitig zu identifizieren: Noch bevor die Technik ihn sicher erkennen konnte, stand er schon an der Ampel und musste doch wieder warten. Von daher ist das Wiener System ein Fortschritt. Bis Ende 2020 sollten die ersten Kameras installiert werden – insgesamt hat Wien 200 Fußgängerampeln mit Druckknopf. Nach und nach sollen sie intelligent gemacht werden.

Hört sich trivial an? Ja, könnte aber Leben retten. Denken wir an die Smombies, die Smartphone Zombies. Seit geraumer Zeit gibt es immer wieder schlimme Unfälle und auch Todesfälle im Verkehr, weil Leute auf ihr Handy starren, den Knopf im Ohr, nichts hören, nichts sehen – und dann vor die Tram oder den Autoverkehr laufen und unter die Räder kommen. Sollte der Smombie zufällig an einer intelligenten Ampel achtlos über die Straße rennen, ersetzt die maschinelle dann die fehlende menschliche Intelligenz und schützt das Unfallopfer in spe per Grünphase. Doch auch der ganz normale Fußgänger profitiert von der neuen urbanen Intelligenz.

Denn viele Menschen empfinden das Warten an der normalen Fußgänger-Ampel als lästig und überqueren die Straße deshalb „wild“, was ebenfalls die Unfallgefahr erhöht. Andere wiederum drücken aus Jux und Tollerei das Knöpfchen, obwohl sie überhaupt nicht über die Straße müssen oder wollen und provozieren so einen völlig unnötigen Stau in ohnehin an Staus und Smog nicht armen Städten. Die intelligente Ampel hat kein Knöpfchen, ist also vor Passanten-Vandalismus sicher.

Ihre Intelligenz braucht die neue Ampel vor allem, um die Absicht eines Menschen zu erkennen: Will er nun über die Straße oder läuft er nur so vorbei? Die Wiener Ampel kann diese Entscheidung bereits nach zwei Sekunden zuverlässig treffen, im Schnitt also drei bis vier Sekunden, bevor er die Ampel erreicht. Damit ist sichergestellt, dass der Fußgänger seinen Schritt nicht bremsen muss, um über die Straße zu gelangen.

Dass die Ampel die Absichten von Fußgängern erkennen kann, verdankt sie ihren lernenden Algorithmen, die anhand von gespeicherten Bewegungsmustern erkennen können, ob jemand über die Straße möchte oder nicht.

Die neue Technik kostet, logisch. Doch wenn sowohl der Fußgängerstrom wie auch der Straßenverkehr flüssiger laufen, sind die Einspar-Effekte enorm: weniger Stau, weniger Schadstoffe in der Luft, weniger Stress und Lärm, schnelleres Vorankommen – Städte werden lebenswerter.

Noch ist nicht einmal die erste Ampel installiert, da kritteln bereits die Unken: „Datenschutz!“ Immerhin speichert die Kamera der intelligenten Ampel die Bilder der Passanten – und könnte schlecht von mir denken, wenn sie mich nachts um halb zwölf auf dem Rückweg von meinem Lieblingsrestaurant ertappt. Auch daran haben die Grazer Forscher gedacht: Die Bilder der Kamera werden nur in der Kamera selbst gespeichert, bleiben in der Kamera und gelangen nicht ins Netz, können also nicht für die Erstellung von Bewegungsprofilen missbraucht werden.

Die Intelligenz der neuen Ampel reicht sogar so weit, dass sie selbstständig auch die Größe einer Passantengruppe erkennen und die Länge der Grünphase entsprechend steuern kann. Selbst wenn jemand quasi in letzter Sekunde noch seine Absicht ändert und doch nicht rüber will, erkennt die Ampel den Gesinnungswandel und bleibt auf Rot. Wie weit ist das Konzept noch von der Realisation entfernt?

Die Grazer Forscher tauschen sich in diesen Tagen mit den Technikern der österreichischen Firma Günther Pichler über die technischen Feinheiten aus. Danach kann es mit der Umsetzung losgehen. Es wird auch langsam Zeit.

Denn seit ihrer Einführung 1925 in Hamburg hat sich an der Technik der Ampel im Prinzip nicht viel geändert. Die Briten waren übrigens deutlich schneller: Bereits 1868 installierten sie ihre erste Ampel auf dem Parliament Square in London. Wird also Zeit, dass die gute alte Ampel ein Upgrade bekommt.

Wenn wir von der Vergangenheit in die Zukunft schauen, ist absehbar: Sobald das autonome Auto kommt, macht die alte Ampel keinen Sinn mehr. Denn wenn Autos vernetzt sind, sollten es auch Ampeln sein, um den Verkehrsfluss optimal fließen zu lassen: Eine Rotphase für eine Auto-Kolonne in der einen Fahrtrichtung, während bei der Grünphase in der anderen Richtung null Verkehr ansteht, ist unklug, staubildend und umweltschädlich.  Und das ist noch nicht einmal maximal weit in die Zukunft gedacht.

Denn wenn wir den Gedanken nur weit genug vorausdenken, drängt sich förmlich auf: Irgendwann wird es überhaupt keine Ampeln mehr geben. Wozu auch? Wenn alle Autos intelligent und miteinander vernetzt sind, dann steuert die Schwarm-Intelligenz der Autos den Schwarm der Autos so intelligent, dass der Schwarm immer in Bewegung ist und niemals im Stau steckt. Grüne Welle für alle!

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