Alle reden darüber: Plastikmüll. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) zum Beispiel hat Mitte des Jahres die Initiative #Verpackungswahnsinn gestartet, die auf Twitter, lnstagram und Facebook läuft. Im Rahmen dieser Initiative sollten Verbraucher die absurdesten Einweg-Plastikverpackungen posten, die sie im Handel aufspüren. Es wurde munter gepostet.
Am Ende der Initiative wurde vor kurzem online über den „Sieger“ abgestimmt und dem betreffenden Hersteller oder Händler erstmalig der Goldene Geier verliehen. Dabei haben über 20.000 Verbraucher an der Wahl abgestimmt und der Preis für die unsinnigste Produktverpackung geht an: das aus Frankreich importierte und mehrfach in Einweg-Kunststoff verpackte Mineralwasser Vittel der Nestlé Deutschland AG. Der Verkauf in der kleinen Füllgröße 0,33 Liter und der Verpackung als Achterpack in einer Schrumpffolie vereint umweltschädigende Verpackung, energie- und ressourcenintensive Abfüllprozesse und rund 920 Kilometer Transportstrecke in einem Produkt und 2,64 Liter Wasser. Wohl gemerkt: wir haben in Deutschland mehr als einhundert Quellen und Mineralbrunnen – wie lange dauert es noch, bis jemand mit der Miene des Connaisseurs seinen Gästen eine Flasche Rosbacher oder Extaler auf den Tisch stellt?
Mit dem Preis soll auf besonders unökologische Verpackungen zum Schaden von Umwelt und Verbrauchern aufmerksam gemacht werden. Dahinter steckt das Denkmodell: Je mehr Aufmerksamkeit ein Thema bekommt, desto besser. Ein alternatives Denkmodell wäre: Je mehr in einer Sache getan wird, desto besser. Denn über mangelnde Beachtung kann sich der Plastikmüll aktuell nicht beklagen.
Wir alle werden geradezu mit Plastik-Hiobsbotschaften zugemüllt, zum Beispiel: In den letzten 25 Jahren hat sich laut DUH der Plastikmüll nahezu verdoppelt. Von 19 Kilo Plastikmüll pro Kopf im Jahr 1995 auf sage und schreibe 37 Kilo im letzten Jahr. Wie haben wir das bloß geschafft?
Schuld daran sind unter anderem die Singles und ihre Entdeckung durch Lebensmittel-Industrie und -Einzelhandel: In den letzten Jahren nahm die Anzahl der Lebensmittel, die auch in single-gerechten Kleinstmengen angeboten werden und natürlich entsprechend verpackt werden, rasant zu. Früher hat man den Wurstaufschnitt im Discounter 100-Gramm-weise gekauft. Heute gibt es bereits Single-Packungen mit fünf Rädchen Wurst drin: mehr Verpackung als Inhalt (dasselbe Prinzip wie bei den Kaffee-Kapseln). Das ist schön für den Single: Er oder sie muss weniger Verdorbenes wegschmeißen. Aber die Wale fressen seinen Plastikmüll.
Ein weiterer Auslöser für die Plastikmüll-Lawine ist der Togo-Boom. So bechern allein die deutschen Kaffeetrinker – was schätzen Sie? – 2,8 Milliarden Einwegbecher im Jahr; 34 Becher pro Kopf und Jahr, dazu 1,3 Milliarden Becher-Deckel. Milliarden! Was macht der Homo sapiens denn sonst noch so den lieben langen Tag? Außer externe Kosten produzieren? „Nach mir die Sintflut“ bekommt da eine ganz neue Bedeutung, denn die Müllsintflut ist ja bereits über uns und unsere Nachbarn in den Weltmeeren hereingebrochen; als modischer T-Shirt-Spruch: We are Armageddon!
Nach Schätzung des Fraunhofer-Instituts landen jährlich 116.000 Tonnen deutsches Plastik aus Verpackung und Produktion in Gewässern und Landschaft. Prognosen sagen voraus, dass wenn sich die Entwicklung so fortsetzt, bis zum Jahr 2050 rein vom Gewicht her mehr Plastik als Fische im Meer schwimmen werden. Wir brauchen dringend neue Sprichwörter: Am eigenen Ast sägen? Nicht mehr zeitgemäß. Wie wäre es mit: „Das Meer vermüllen, von dem wir leben“?
Es gab in der Entwicklung der Menschheit die Steinzeit, die Bronzezeit, die Eisenzeit und jetzt haben wir eben die Plastikzeit. Was wohl unsere Kinder dazu sagen, deren Weg in der Mittagspause von den üblichen Snack-Tempeln zurück zur Schule anhand der entlang des Weges verstreuten Einweg-Verpackungen rekonstruiert werden kann?
Natürlich hat das alles Folgen. Zum Glück auch für uns. So haben Forscher der Universität Newcastle herausgefunden, dass wir im Schnitt 5 Gramm Plastik pro Woche über unsere Nahrung zu uns nehmen. Überwiegend aus Fisch, Trinkwasser (zum Beispiel aus der Plastikflasche) und Verpackungen von Lebensmitteln. 5 Gramm klingt nicht nach viel, entspricht jedoch dem Gewicht unserer Kreditkarte; ein unappetitliches Bild. Wenigstens kommt so zu uns zurück, was wir in die Umwelt verfrachten. Die Rache der Wale, sozusagen.
Erst neulich haben Forscher der medizinischen Universität Wien in einer weltweit angelegten Studie auch erstmals Mikroplastik im menschlichen Körper (im Stuhl) nachgewiesen. Was das Plastik im Körper anrichtet, ist noch nicht erforscht. Man geht aber davon aus, dass es die Fortpflanzung stört, den Stoffwechsel, das Immunsystem und neurologische Funktionen. Man sagt, dass das Römische Reich auch deshalb zugrunde ging, will die Aquädukte zur Reduktion der Sickerverlust mit einer Bleischicht ausgelegt waren. Die Blutwerte der letzten Römer des Reiches lagen teilweise hundertfach über den normalen Werten: Bleivergiftung. Schaffen wir dasselbe jetzt auch mit Plastik? Was tun?
Die EU hat beschlossen, dass ab 2021 bestimmte Plastik- und Styropor-Gegenstände verboten werden sollen. Darunter vor allem Einweg-Plastikbesteck und -geschirr. Und ab 2030 sollen sämtliche Plastikflaschen zumindest zu 30 Prozent aus Recycling-Material bestehen. Was können wir selber tun?
Einige von uns tun es bereits. Sie trinken ihr Wasser wie zu guten alten Zeiten wieder aus der Glasflasche. Sie kaufen in sogenannten Unverpackt-Läden ein und bringen dafür ihre eigenen Behältnisse und Flaschen mit. Auch die Erfinder tüfteln bereits fleißig an Verpackungen zum Beispiel aus Zucker, die nach Gebrauch komplett und schnell verrotten. Einige E-Shops versenden ihre Ware nicht mehr wie lange üblich im Styropor-Mantel, sondern in einer Schutzhülle aus Wellpappe und Stroh. Sie isoliert und schützt genauso gut, ist auch nicht teurer und kompostiert sehr viel schneller.
Manche von uns kapseln ihren Kaffee nicht mehr, sondern brühen ihn auf oder tröpfeln ihn durch den Filter. Das mit dem „Umweltbewusstsein“ ist so eine Sache. Auch wenn ich nach dem zweiten Stück Sahnetorte greife, ist mir durchaus bewusst, dass mir das zwar schmeckt, aber nicht wirklich guttut. Dieses Bewusstsein hält mich jedoch viel zu selten davon ab, zuzugreifen: Es zählt allein die Tat. Wir sollten uns öfter an Erich Kästner erinnern: „Es gibt nichts Gutes. Außer: Man tut es.“ Tun wir’s.
Es hat gut getan, Ihren Text zu lesen, meine Einstellung, weniger reden, handeln,