Der Preis des Lebens

Penny hat soeben einen neuen Laden in Berlin eröffnet – nichts Besonderes? Doch. In diesem Laden werden für einige Artikel nämlich echte Preise ausgewiesen.

Denn das, was wir in jedem anderen Laden an der Kasse bezahlen, ist alles andere als der echte Preis. Sagen wir, wir kaufen für unsere selbstgemachten Frikadellen ein Pfund Hackfleisch aus konventioneller Tierhaltung und Herstellung. Auf der Packung steht dann 2,79 €. Selbst für jemand, der nicht regelmäßig die Haushaltseinkäufe tätigt, ist das spottbillig, ein Schleuderpreis für Fleisch. Warum?

Weil in diesem Schleuderpreis eben nicht alle Kosten des Hackfleischs drin sind. Es fehlen zum Beispiel die Kosten der Überdüngung. Wir essen nämlich so viele Frikadellen, dass wir dafür so viele Rinder und Schweine benötigen, dass deren Mist die Ackerflächen überdüngt und damit das Grundwasser, das entsprechend gereinigt werden muss mit Wasserwerken und Kläranlagen, die Millionen kosten – und genau deren Kosten werden nicht auf das Pfund Hack umgelegt, sondern mit unseren Steuern und Abgaben abgegolten: ein Schwindel sondergleichen und ein vorsätzlicher Verstoß gegen sowohl Verursacher- wie Äquivalenzprinzip.

Was ebenfalls im herkömmlichen Ladenpreis fehlt, sind die Klimakosten der Treibhausgase, die in der Landwirtschaft entstehen und die Folgekosten des Antibiotika-Einsatzes in der Tierhaltung. Die durch Antibiotika resistent gewordenen Keime fordern jedes Jahr viele Todesopfer – unter Menschen. Der Preis dieser Menschenleben ist jedoch nicht im Preis des Hacks inbegriffen. Und wenn doch?

Wenn der Preis fürs Hack tatsächlich dessen tatsächliche Kosten ausweisen würde? Wie hoch wäre er dann?

Wissenschaftler der Universität Augsburg errechneten genau diesen echten Preis für einige Penny-Produkte. Wodurch der Preis fürs Pfund Hackfleisch von 2,79 € stieg auf – was tippen Sie?

Selbst Menschen, die von Wirtschaft und der Internalisierung externer Kosten etwas verstehen, liegen mit ihrem Tipp oft daneben. Denn der korrekte, echte Preis für das Pfund Hackfleisch beträgt sage und schreibe 7,62 €. Und sofort fallen die Dominosteine in unserem Kopf: Wenn Hack tatsächlich so viel kosten würde, würden wir nicht jeden Tag Fleisch in Unmengen vertilgen. Es gäbe sehr viel weniger Schweine und Rinder in unseren Ställen und damit weniger Mist, der unser Wasser überdüngt. Sehr viel weniger Urwald würde abgeholzt, um das Soja anzubauen, mit dem die Viecher nicht mehr gefüttert werden müssten, die wir nicht mehr essen. So rettet die Boulette die Welt – wenn ihr Preis stimmt.

Bisher tut er das nicht, wodurch die Marktregulierungsfunktion des Preises nicht mehr funktioniert. Fleisch kostet weitaus weniger als es wert ist, weil wir bei der Preiserstellung grob falsch rechnen. Dieser Preisbetrug hat Ausmaße angenommen, gegen die Baron Münchhausen wie der Wächter der Wahrheit anmutet: Allein beim Hack liegt der ehrliche Preis 173 Prozent über dem Ladenpreis. Milch würde sich um 122 Prozent verteuern, Gouda um 88%, Mozzarella um 52%. Bei Obst und Gemüse fallen die Ehrlichkeitsaufschläge geringer aus: Bananen plus 19%, Kartoffeln und Tomaten plus 12%, Äpfel plus 8%.

Im Durchschnitt würden sich Lebensmittel konventioneller Erzeugung um 62 Prozent pro Kilo verteuern. Produkte aus ökologischem Anbau würden im Schnitt noch 35% teurer. Dabei konnten die Augsburger Forscher noch nicht einmal sämtliche externen Kosten der untersuchten Produkte einpreisen. Denn was zum Beispiel multiresistente Keime an Kosten verursachen, konnte mangels harter Zahlen noch nicht kalkuliert werden. Daher bezahlen wir immer noch Lügenpreise.

Würden wir uns ehrlich machen, würden nicht nur Lebensmittel deutlich mehr kosten. Damit würde das Leben ganz schön teuer werden? Gegenfrage: Würde deshalb jemand verhungern? Oder auch nur hungern müssen? Ja.

Nämlich jene Hunderttausenden, die heute schon in Deutschland bei den Tafeln und ähnlichen Organisationen einkaufen. Doch das ist kein Argument gegen ehrliche Preise. Es ist ein Argument für bessere Strukturen und Sozialhilfe. Genau das ist nämlich mit „sozialer Marktwirtschaft“ gemeint – so der Name unseres Wirtschaftsmodells.

Laut diesem Modell wird der Markt über einen ressourcen-treuen Preis reguliert und der Sozialstaat hilft jenen, die diesen Preis nicht bezahlen können. Heute ist es genau umgekehrt. Selbst und gerade jene, die den echten Preis locker bezahlen könnten, müssen diesen nicht bezahlen und ruinieren damit und deshalb Umwelt und Klima, weil der Markt wegen des defekten Preismechanismus verrücktspielt und wir Fleisch futtern als wäre es geschnitten Brot.

Dabei könnten wir dem Preis wieder zu seiner Marktregulierungsfunktion verhelfen, indem zum Beispiel der CO2-Fußabdruck und viele andere externen Kosten jedes Produktes eingepreist werden – per Gesetz. Die Alternative ist Marktversagen. Ein Versagen, das Klima, Gesundheit und Umwelt derzeit in den Ruin treibt. Weiß der Gesetzgeber das?

Das ist eine offene Frage. Glücklicherweise müssen wir die Rettung der Welt nicht Regierungen überlassen, die ihre diesbezügliche Unfähigkeit/Unwilligkeit hinlänglich unter Beweis gestellt haben. Denn was ist eines der besten, einfachsten und billigsten Mittel gegen Marktversagen, für das wir keinen einzigen Bundestagsabgeordneten brauchen?

Wir kennen es alle: Transparenz. Penny hat diese Transparenz bei den korrekt kalkulierten acht Produkten hergestellt. Bei jedem dieser Produkte stand neben dem Ladenpreis auch der tatsächlich echt wahre Preis abgedruckt. Das ist das Mindeste, was Händler und Hersteller mit funktionierendem Verstand und Zukunftsbewusstsein heute bereits tun können. Aber damit schaden sich Händler und Hersteller doch selbst? Weil wir dann weniger kaufen? Gut erkannt – kurzfristig. Denn wieviel werden wir noch kaufen, wenn langfristig Klima und Umwelt ruiniert sind und man auf dieser Welt einfach nicht mehr leben kann?

Wenn wir uns schon wegen falscher Dumpingpreise dumm und dämlich kaufen, könnten Hersteller und Händler doch mindestens den echten Preis neben den Ladenpreis drucken. Selbst wenn wir an der Kasse noch den falschen Preis bezahlen: So mancher kauft deutlich weniger, wenn er weiß, was das, was er kauft, wirklich wert ist und tatsächlich kostet.

Vielleicht hat Penny mit dieser mutigen Aktion den Startschuss für einen neuen Trend gesetzt. Wir wünschen es uns allen! Denn wenn der Preis uns nicht in unserem Konsumwahn diszipliniert, wer sollte es sonst tun?

 

 

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