Wir alle kennen Cape Canaveral – demnächst vor Cuxhaven in der Nordsee?
Kein Witz. Es gibt tatsächlich Pläne für einen deutschen Weltraumbahnhof. Und zwar auf einer mobilen Plattform – im Meer. Die Plattform wird auf ein Schiff gebaut, das sich für den Startvorgang mit Ankern stabilisiert – wie derzeit jene Großschiffe, mit denen Windparks im Meer gebaut werden. Werden die Anker gelichtet, kann sich die schwimmende Startrampe an einen anderen Standort bewegen. So ein Schiff muss dann aber schon ein Riesenpott sein?
Kein Problem – Flugzeugträger zum Beispiel sind auch keine ausgesprochenen Kleinboote. Auch die Schiffe, mit denen Windräder aufgestellt werden, sind von beachtlicher Größe (). Außerdem sprechen wir bei Raketenstarts vom deutschen Weltraumbahnhof nicht von Größenordnungen einer Apollo oder einer Ariane, sondern quasi von Mini-Raketen mit einer maximalen Nutzlast von bis zu 1.000 Kilo. Wobei diese „kleinen“ Raketen immer noch bis zu 27 Meter hoch und 2 Meter breit sein können. Alles Utopie?
Nein. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat erst jüngst im September Gespräche mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier geführt und dabei das ernsthafte Interesse der Regierung registriert, die Machbarkeit eines deutschen Space Center zu prüfen. Denn bislang werden Raketen mit deutscher Satellitenfracht vom Weltraumbahnhof Kourou im südamerikanischen Überseedepartement Französisch-Guyana gestartet, vom russischen Kosmodrom Baikonur oder eben vom Kennedy Space Center aus. Kourou, der Startplatz der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA, liegt immerhin über 7.000 Kilometer von Deutschland entfernt. Neben der logistischen Herausforderung der Überbrückung dieser Entfernung spielt auch die Bürokratie des Ex- und Imports von Raketen- und Satellitenteilen eine Rolle. Das alles könnte man sich sparen, wenn man die Raketen vor der eigenen Haustür ins All schießen könnte. Ist das nicht eher ein Luxuswunsch?
Nein, denn schon heute sind rund 10 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung von Satelliten abhängig; Tendenz steigend. Wir sollten uns daher nicht in Gefahr begeben, dass uns irgendeine weltpolitische Krise einmal den Zugang zu Startmöglichkeiten verwehrt. Krisen gibt es schließlich genug und Bestrebungen, den Welthandel zu beschränken. Außerdem könnte sich Deutschland mit eigener Startrampe an einem lukrativen Zukunftsmarkt beteiligen. Denn allein in den nächsten acht Jahren sollen weltweit mehr als 8.000 Kleinsatelliten in den Orbit geschossen werden.
Dabei wird prognostiziert, dass in Europa nur rund 6 Prozent der Satelliten militärischen und 7 Prozent wissenschaftlichen Zwecken dienen werden; zum Beispiel der Wetterbeobachtung oder der Kartographie. Der überwiegende Anteil der Satelliten dient dagegen der Wirtschaft. Viele Unternehmen haben ihre eigenen Satelliten in der Umlaufbahn, um ihre globalen Wertschöpfungsketten zu koordinieren, um Karten für kommerzielle Zwecke anzufertigen oder einfach klassisch für die Telekommunikation. Und wir haben in Deutschland – abseits von der Öffentlichkeit – bereits einige Start-ups, die in der diskutierten Größe Raketen bauen.
Auch liegen bereits Feasibility-Studien vor, die bestätigen, dass ein deutscher Raketenstartplatz nicht utopisch, sondern machbar ist. Wobei die Wirtschaft sich eine Anschubfinanzierung vom Staat wünscht. Diese fällt erstaunlich sparsam aus: 30 Millionen für die ersten sechs Jahre – ein anständiges Spaßbad jeder größeren Kommune dürfte um diesen Preis zu haben sein. Oder rund drei Kilometer Autobahn. Das ist für einen Bundeshaushalt von 360 Milliarden Euro (2020) ein eher bescheidener Betrag, mit dem nicht nur die nötige Infrastruktur, sondern auch viele neue Arbeitsplätze geschaffen würden. Das ist keine Zukunftsmusik.
Denn die Raketen wären binnen lediglich zwei Jahren startreif. Wir könnten also bereits 2023 durchstarten – wenn die Plattform bis dahin auch so weit wäre. Warum ist das Projekt nicht längst gestartet?
Es liegt nicht an der Technik: Diese ist längst vorhanden. Es liegt auch nicht am Geld: Für Sinnvolles findet sich immer eine Finanzierung. Das Problem ist eher der Schiffs- und Luftverkehr vor der deutschen Nordseeküste. Denn beide müssten für die Starts vorübergehend eingestellt werden – und das ist bei einer Region mit so hohem Verkehrsaufkommen in etwa so, als ob man den Mittleren Ring in München an einem Dienstmorgen zwischen 7 und 9 Uhr sperren würde. Das gibt Chaos.
Die New Space-Strategie von deutscher Wirtschaft und Regierung stößt also auf die üblichen administrativen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Hindernisse, die wir von jeder Windrad-Projektierung kennen. Einmal ganz zu schweigen davon, dass die Fische sich über den irren Lärm bei so einem Raketenstart gehörig beschweren würden.
Könnte man sich jedoch irgendwie mit den anderen Verkehrsteilnehmern und „Anrainern“ einigen, würde sich auch eine attraktive Option für zukünftigen Weltraum-Tourismus eröffnen. Da könnten Reiseanbieter ein neues Geschäftsfeld eröffnen. Und wenn das bei der typisch deutschen Schnelligkeit solcher Groß-Investitionen – s. BER, Elbphilharmonie oder Stuttgart 21 – nicht mehr zu unseren Lebzeiten eintreten dürfte: Norwegen, Schottland und Schweden verfolgen momentan dieselbe Idee. Vielleicht fliegen wir dann einfach mit unseren Nachbarn ins All.