Krise – Katalysator

Die Krise ist vieles – für uns alle lästig, für viele bedrohlich, für einige ruinös. Sie ist daneben ein Katalysator für Entwicklungen und Technologien – uns allen fällt spontan die Digitalisierung ein: Nie digitalisierten wir schneller als in 2020; die Krise treibt uns an.

Plötzlich Anfang letzten Jahres war die langfristige Planung, die man angeblich für Software-Applikationen braucht, für Robotik, Automatisierung, Digitalisierung und Autonomisierung, im Sinne des Wortes von der Krise überholt. Bestimmte Dinge gingen krisenbedingt auf einmal unglaublich schnell über die Bühne.

Beispielsweise auch die Entwicklung des Online-Handels: ein Umsatzplus von 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und nicht nur E-Commerce. Auch der gesamte Einzelhandel erzielte per Saldo ein Rekordplus im einstelligen Prozentbereich – während einige Teile des Handels wie der Textilhandel katastrophal einbrachen. Einige Trends beschleunigte die Krise so stark, dass sie einen ganzen 5-Jahres-Plan in nur einem Jahr bewältigten. Für die einen war das gut, andere verloren ihre Existenz, alle wurden wachgerüttelt.

So wollen, laut Studien, 44 Prozent der befragten Unternehmen aus Fertigung, Transport und Logistik in den kommenden zwei Jahren Echtzeit-Dateninitiativen starten. Wir kennen das vom Online-Bestellen: Dank Tracking können wir jederzeit und in Echtzeit sehen, wo sich unsere Bestellung gerade befindet. 44 Prozent? Vor Corona war das deutlich weniger. Das heißt nicht, dass Krisen gut für Tempo und Tiefe von nötigen Erkenntnissen wären. Eine Gesellschaft, ein Mensch oder ein Unternehmen, die eine Krise brauchen, um ihren Erkenntnisprozess zu beschleunigen, haben weitaus größere Probleme als die aktuelle Krise.

Doch zumindest weisen uns Krisen nachdrücklicher als jedes andere Ereignis auf bestehende Lücken hin; hier speziell Lücken bei Digitalisierung, Logistik und vor allem Alternativ-Plänen. Viele wurden von der Pandemie überrascht, was eigentlich nicht sein kann, wenn man Risk Management betreibt oder einen Strategiestab hat, Alternativplanung betreibt, Eventualpläne in der Schublade liegen hat oder weiß, wie Krisenmanagement funktioniert. Viele haben daraus gelernt und seit dem Sommer 2020 deutlich mehr Notfallpläne in der Schublade liegen – für die nächste Katastrophe. Die nächste Krise kommt bestimmt. Nach der Krise ist vor der Krise.

Und obwohl es für viele weniger zu arbeiten gab und gibt, verschärfte sich der Fachkräftemangel. Allein dadurch, dass viele leider krank waren oder in Quarantäne oder das Home Office wegen schwacher Digitalkompetenz nur mit eingeschränkter Leistungsstärke nutzen konnten. Wären wir alle digital etwas stärker bewandert, würde es nicht einen so großen Unterschied machen, ob wir im Büro am PC sitzen oder im eigenen Wohnzimmer am Notebook.

Mehr Resilienz und mehr Agilität – das sind zwei Fähigkeiten, die viele Unternehmen aus der Krise mitnehmen. Im Verbund mit dem Brexit und den internationalen Handelskriegen haben viele erkannt, dass sie ihre Lieferketten deutlich resilienter und agiler gestalten müssen. Sie investieren nun stärker in ihr Risikomanagement, auch unter Einsatz neuer Technologien wie Künstliche Intelligenz, Big Data Analytics, 5G oder Cloud-Lösungen.

Wobei sich diese Lösungen zugleich als gravierendes Problem entpuppen; Stichwort Cyber-Kriminalität. In Europa wird an fast jedem Tag ein großes Unternehmen von einem Hacker-Angriff heimgesucht. Der Schaden von solchen Attacken belief sich noch 2017 weltweit auf rund 600 Milliarden US-Dollar. Im letzten Jahr sprang der Schaden auf rund 1.000 Milliarden. Das ist vielleicht der Gipfel der Unmoral: Ganoven nutzen die Corona-Krise, um richtig Reibach zu machen. Krisen sind immer auch moralische Krisen. Sie wirken katalytisch auf gewisse Entwicklungen.

So auch auf den Wandel des Arbeitsmarktes; gelinde gesagt. In der letzten Finanzkrise wurde in einigen Branchen ein Fünftel der Arbeitsplätze automatisiert. Einen ähnlichen Effekt wird Corona gehabt haben – wenn die Zahlen erst einmal gesichert sind. Corona killt Menschen und Arbeitsplätze; vor allem jene mit hohem Automatisierungspotenzial. Das ist jedoch nur dann bedrohlich, wenn Krise und Unternehmen schneller automatisieren als Arbeitnehmer mit repetitiven Jobs die nötige Digital- oder eine andere Kompetenz erwerben, um andere, bessere Jobs zu finden. Wenn die Krise schneller Jobs gefährdet, müssen wir schneller dazu- und umlernen.

Umlernen auch deshalb, weil Krisen zwar viele Jobs killen, jedoch auch viele neue Stellen schaffen in Bereichen, wo wenig Automatisierung möglich ist. So hat Corona im letzten Jahr in Kommission, Versand und Logistik zahlreiche Arbeitsplätze neu geschaffen, Vermieter reich gemacht und neue Bauvorhaben angestoßen: Wegen des Online-Booms schossen Bedarf und Mieten für Lager-Immobilien in Rekordhöhen.

Natürlich ist jede Krise erst einmal schlimm. Für die einen. Andere gewinnen dabei. Doch beides ist weniger wichtig als das, was wir daraus lernen können und sollten: Krisen beschleunigen. Die Welt dreht sich immer, doch in Krisen dreht sie sich noch schneller. Wenn wir uns dieser Beschleunigung nicht verweigern, sondern deren Impulse aufnehmen und unsere Fähigkeiten entsprechend weiter entwickeln und neue Technologien implementieren, können und werden wir Krisen nicht nur bestehen, sondern ihnen auch einen Krisengewinn abringen können. Dann wird die Krise zur Chance.

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