Was kommt hinter der Banane?

Wenn wir im Supermarkt zur Banane greifen, haben wir buchstäblich keine Ahnung, wie diese ins Regal kam. Wobei das mit Sicherheit spannender ist als die Banane an sich. Denn die Lebensmittel-Lieferkette ist die komplexeste und globalisierteste der Welt. Allein schon wegen der schieren Distanzen.

Die Kakao-Bohne für die Schokolade zum Beispiel kommt aus Afrika, unser Obst in den Wintermonaten aus Südamerika. Viele Superfoods wie Avocados oder Chia-Samen kommen aus anderen fernen Ländern. Sie legen oft Tausende Kilometer zurück unter Beteiligung Hunderter Erntehelfer, Fahrer, Lagerarbeiter, Matrosen, Dockarbeiter, Kranführer, Gabelstaplerfahrer, Disponenten, Sachbearbeiter, Spediteure, Ex- und Importeure und Zwischenhändler. Nun könnte man sagen: Was soll’s? Fernreisen sind heutzutage schließlich auch kein Problem mehr (vor und nach Corona). Also was soll der Aufstand?

Nur eines: Fernreisende sind nicht leicht verderblich – Obst, Gemüse, Milch- und Fleischprodukte jedoch sehr wohl und sehr stark. Jede Unterbrechung der Lieferkette, jedes kleinste Aussetzen der Kühlkette kann komplette Lieferungen binnen weniger Minuten in Müll verwandeln. Und weil das selbst in unseren modernen Tagen immer noch nicht zu knapp passiert, ist das nicht nur das Gegenteil von Nachhaltigkeit, sondern kann auch zu Engpässen in der Versorgung der Bevölkerung führen und zu schmerzhaften, oft genug existenzbedrohlichen finanziellen Verlusten bei jenen Unternehmen, die es betrifft. Wenn eine Banane in unserem Obstkorb schwarz wird und gärt, wandert sie in den Müll, was schon schlimm genug ist. Wenn ein Container mit Bananen schimmelt, reißt das Löcher in Kassen und Lieferketten. Und doch passiert dieser Lochfraß selbst in modernsten Lieferketten noch immer in der Größenordnung von Millionen Tonnen über alle Lieferketten hinweg.

So ergab eine Studie des BME-Verbandes, dass 77 Prozent der Befragten Unternehmen aller Branchen binnen eines Jahres mindestens eine Unterbrechung in ihrem Liefernetzwerk erlitten. 27 Prozent berichten von mehr als fünf Störungen. In Zeiten von Just in Time führt das zu existenzbedrohlichen Produktionsstörungen, Verlusten und Lieferausfällen. Kein Wunder also, dass Unternehmen aller Branchen gegen diese gigantische Ineffizienz angehen. Mittel der Wahl dabei ist – worauf tippen Sie?

Natürlich, die Digitalisierung.

Zum Beispiel in Form von sogenannten Advanced Planning Systems (APS). Diese modernen Systeme können besser planen als der Disponent am PC, weil sie sehr viel mehr können als ein normaler PC: Sie planen selbstständig und vor allem über mehrere Schnittstellen hinweg. Ein normaler Disponent oder Supply Chain Manager kann meist nur seinem direkten Lieferanten in die Karten und ins Lager blicken.

Wenn also der Lieferant eines Lieferanten eines Lieferanten eine Mindermenge liefert und sich diese Minderung per Domino-Effekt über die Lieferkette verbreitet, merkt der Disponent beim bestellenden Unternehmen das erst, wenn sein direkter Lieferant ihm die plötzlich sprunghaft gestiegene Lieferfrist mitteilt:  also zu spät.  Das APS dagegen bekommt bereits Wochen vorher den Lieferengpass beim Lieferanten vom Lieferanten vom Lieferanten mit – und kann entsprechend vorwarnen und rechtzeitig Alternativen empfehlen. Das ist die Lösung und zugleich ein Problem. Eigentlich sind es vier.

Denn für so ein mehrstufiges Planungssystem müssten sich alle Partner einer Lieferkette untereinander digital vernetzen. Sie müssten ihre Schnittstellen harmonisieren. Außerdem müssten sich alle ungefähr gleich gut mit APS auskennen. Und schließlich dürfte die APS-Anschaffung nicht jene Lieferanten in Bedrängnis bringen, die knapp bei Kasse sind. Das sind vier Probleme, die mit viel gutem Willen und Kooperation nicht erst heute, sondern bereits seit vorgestern lösbar sind. Doch an beidem mangelt es heftig in einem Wirtschaftssystem, in dem beides eine knappe, wenn nicht existenzbedrohte Ressource ist. Auf Hyper-Wettbewerb getrimmte Menschen sind nicht wirklich gut beim Kooperieren. Und es würde eine rekordverdächtige Kooperation benötigt.

Denn die Verhältnisse in Lebensmittel-Lieferketten sind extrem asymmetrisch: Der Kakaobohnen-Bauer an der Elfenbeinküste versteht in der Regel wenig bis nichts von modernen Advanced Planning Systems. Woher auch?

Als alternative digitale Lösungsoption zu den APS wird oft die Blockchain genannt. Doch auch hier gilt: Nicht nur die Supply Chain Managerin mit universitärem Abschluss muss sich damit auskennen, sondern eben auch der Bohnenbauer in Afrika, der so gut wie nie eine Schule von innen sah. Von alleine wird er sich die Digitale Revolution nicht beibringen. Da müsste ihm vom andern Ende der Lieferkette schon starker Support gegeben werden. Und wieder gilt: Gegenseitige Unterstützung ist nicht unbedingt die größte Stärke von Hyperwettbewerbsmarktwirtschaften. Trotzdem würden sämtliche Partner der Lieferkette davon profitieren.

Doch seltsamerweise ist das größte Gut der größten Zahl ebenfalls kein Charakteristikum von realen Marktwirtschaften, die fast schon naturgemäß zu gigantischen Ungleichheiten tendieren wie sie das Pareto-Prinzip polemisiert: 20 Prozent der Privilegierten haben 80 Prozent von allem.

Dabei könnten wir alle von digitalen Lebensmittel-Lieferketten profitieren: Wir Konsumenten könnten uns am Handy informieren, wie es um Herkunft, Qualität, Nachhaltigkeit und Lieferprozesse der Banane bestellt ist, die wir aus dem Regal greifen. Lebensmittel-Kontrolleure könnten verlässlich digital kontrollieren, ohne von Container zu Container ziehen zu müssen. Und auch die güter-begleitenden Finanzströme ließen sich nachvollziehen und daraufhin überprüfen, ob die Arbeiter auf der Bananen-Plantage wirklich sozial nachhaltig bezahlt werden. Aus all diesen guten Gründen arbeiten führende Unternehmen derzeit an digitalen Lieferketten.

Darunter zum Beispiel die internationale Internet-Plattform AgriDigital, auf der Landwirte ihre Lieferkontakte verwalten können, Lagerunternehmen ihr Inventar, die Organisation ihrer Rechnungsstellung und Händler ihre Mengen-Übersichten.

Ein zweites Beispiel ist die Food Trust Blockchain von IBM, die unter anderem von Walmart genutzt wird. Sie bietet Lieferanten die Möglichkeit, frische grüne Produkte in Echtzeit über das Netzwerk vom Erzeuger zum Verbraucher zu verfolgen. Die Blockchain garantiert einen sicheren Austausch digitaler Daten und damit einen offenen Zugang zu relevanten Informationen für alle in der Lieferkette: Die Banane ist immer noch analog. Doch wie sie zu uns kommt, wird in Zukunft hoffentlich digital organisiert, gesteuert, kontrolliert und dokumentiert.

So verdienstvoll solche bislang noch vereinzelten digitalen Lebensmittel-Lieferketten sind: IBM und Walmart sind Riesenkonzerne. Die weitaus meisten Akteure der Lebensmittelversorgung dagegen sind kleine und mittlere Betriebe. Da ist nicht nur der kleine Bohnen-Bauer an der Elfenbeinküste. Da ist auch der kleine Weinhändler um die Ecke, der sich auf Weine aus Südtirol spezialisiert hat. Alle diese kleinen Erzeuger und Lieferanten haben weder das Geld noch das Wissen für APS oder Blockchain, so dass der Markt an dieser Stelle versagt. Für Regierungen und Behörden, die mitdenken, bietet sich hier die ideale Möglichkeit einer sinnvollen Wirtschaftsförderung. Und tatsächlich hat sich zum Beispiel die EU des Themas angenommen und fördert, was förderungswürdig ist: Digitale Lieferketten produzieren weniger Ausschuss und damit mehr Nachhaltigkeit, von der wir in diesen Tagen dringend mehr benötigen.

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