Wir kaufen, als ob morgen das Geld abgeschafft würde. Wir kaufen extrem häufig online. In nur einem Jahr (2020) wurden allein in Deutschland wie viele E-Commerce-Nutzungen getätigt? Was schätzen Sie?
Es waren 62,4 Milliarden. Megaloman. Grob umgerechnet auf rund 80 Millionen bundesdeutsche Frauen, Männer, Diverse, Kinder und Senioren und selbst auf jene, die überhaupt keinen PC, Notebook oder Smartphone haben, waren das 780 Nutzungen in nur einem Jahr – für jeden und jede; also ungefähr zweimal am Tag, an jedem Tag, inklusive Feier- und Urlaubstage. Wir spinnen, wir Konsumenten. Und nicht nur wegen der schieren Masse an Zeugs, das wir bestellen.
Sondern auch wegen der Konsequenzen: Viele stationäre Händler geben auf, Innenstädte veröden. Vom Januar 2021 stammt eine Umfrage des Instituts für Handelsforschung, in der 34 Prozent der befragten Deutschen angaben, dass sie mit ihren Einkäufen vom stationären zum Online-Handel gewechselt seien. Nun gut, Corona-2020 war ein Pandemie-Jahr mit Lockdown für den stationären Handel. Doch auch der langfristige Trend zeigt, dass die Flucht ins Internet auf immer mehr Konsumenten zutrifft für Textilien, Bücher, Heimwerker-Bedarf, Elektrogeräte, Kleinmöbel, Matratzen und Unterhaltungselektronik und sogar für immer mehr Lebensmittel. Dabei kaufen wir das, was wir (nicht) brauchen, nicht nur woanders ein.
Wir kaufen generell auch anders ein. Zum Beispiel viel anspruchsvoller. Wenn wir beim Supermarkt um die Ecke einkaufen, sehen wir nur die Preise von diesem einen Supermarkt. Kaufen wir im Internet ein, sehen wir sämtliche Preise sämtlicher Angebote auf Knopfdruck. Mit dieser Preistransparenz und -vergleichbarkeit kann der stationäre Handel nicht mithalten.
Anspruchsvoll sind wir auch in anderer Hinsicht: Wir müssen nicht mehr losfahren, um einzukaufen, wollen jedoch gleichzeitig die Transportkosten des Online-Händlers, respektive seiner Logistikdienstleister, auch nicht bezahlen und verweigern uns in der Regel den Versandkosten unserer Bestellung. Und wir verlangen, dass der Online-Händler uns so schnell beliefert wie der stationäre Händler: sobald wir auftauchen. 24h-Belieferung ist vielen schon zu langsam. Im Laden um die Ecke kriegen wir die Ware doch auch sofort!
Diese kleinkindliche Anspruchshysterie hat die meisten Online-Händler in die Bredouille gebracht. Sie stehen unter immensem Effizienzdruck und trimmen Lagerhaltung, Kommissionierung und Transport zu immer neuen Höchstleistungen. Diese sind im Prinzip möglich und auf jeden Fall nötig, provozieren jedoch einen von uns Konsumenten konsequent verdrängten Aufwand, weil die bisherige Lager-Infrastruktur nicht für diese explosionsartig angewachsenen Umschlagsvolumina ausgelegt ist. Weil mit diesen Mengen niemand rechnete, waren die meisten Lager schnell zu klein und mussten ausgebaut werden – was kostet.
In größeren Lagern wiederum sind die Lagermitarbeiter länger unterwegs, bis sie ihre bestellten Artikel zusammen haben, was die Arbeitszeit pro Artikel erhöht, weshalb die Arbeiter entweder länger arbeiten oder neue eingestellt werden müssen – beides kostet den Arbeitgeber, der diese Kosten meist nicht an uns Konsumenten weitergeben kann, weil wir sonst bei der billigeren Konkurrenz kaufen. Daraus erwächst ein tödliches Paradoxon.
Auf der einen Seite freut sich jeder Händler über Auftragswachstum. Auf der anderen Seite steigen die Wachstumsprobleme exponentiell mit der Bestellmenge. Man kann sich auch zu Tode verkaufen, wenn Kosten steiler steigen als Gewinne. Das hat bereits einige Online-Händler in eine kritische Lage gebracht.
Am Anfang des Booms waren sie noch gesund, leistungs- und lieferfähig. Doch je stärker die Bestellungen zunahmen, desto stärker nahm ihr Gewinn ab. Je mehr Umsatz sie machten, desto weniger verdienten sie daran. Bis einige so viel Umsatz machten, dass sie gar nichts mehr daran verdienten, sondern mit jeder Bestellung draufzahlten und vom Umsatz-Boom zum Tode verurteilt wurden. Oder einen Retter suchen. Mancher Händler war erfolgreicher als er es sich leisten konnte. Andere erkannten die Gefahr des hereinbrechenden Wohlstands und zogen den Hals aus der Schlinge. Wie?
Indem sie digitalisierten und automatisierten, als hinge ihr Leben davon ab – was es tut. Das heißt nun nicht, dass Lagerarbeiter gekündigt wurden, weil sie wegdigitalisiert wurden. Im Gegenteil. Sie können bleiben, weil der Chef auch morgen noch ihren Lohn bezahlen kann, weil die Lohnkosten ihn nicht ruinieren, da er statt mehr Arbeiter mehr Roboter „einstellt“. Wenn er schnell genug ist.
Denn wer zu lange wartete, verdiente immer weniger, bis er kein Geld mehr für die immensen Investitionen in Digitalisierung und Automatisierung hatte. Wer zu lange auf dem Bestell-Boom surfte, den schmetterte die Welle letztendlich gegen die Klippe. Umsatz bedeutet Untergang. Nicht immer, aber immer öfter.
Wen die Roboter retteten, dem helfen sie nun beim Sortieren und Kommissionieren der Ware. Das entlastet auch die menschlichen Arbeiter. Dabei sind die Roboter recht flexibel, können also relativ schnell an neue Artikel angepasst werden und benötigen kaum Platz.
Ein anderes Beispiel für Automatisierung sind Regal-Bediengeräte. Das sind Systeme, die Waren aus den Regalen entnehmen oder dort einlagern können. Damit nicht mehr der Mann (oder die Frau) zur Ware kommen muss, sondern die Ware zum Mann (oder der Frau) kommt. Das entlastet die menschlichen Kollegen, die sich die ganze Arbeitszeit an einer einzigen Kommissionierstation aufhalten können und nicht stets und ständig im Großlager herumrennen müssen. Laufzeit kostet. Wer rennt, kommissioniert nicht.
Am Ende haben Digitalisierung und Automatisierung dasselbe Ziel: die Produktivität des Lagers zu steigern, mehr Aussendungen in weniger Zeit zu weniger Kosten zu ermöglichen und damit unseren anscheinend unersättlichen Online-Konsumhunger zu stillen.