Renaissance der Segelschiffe

Auch die Schifffahrt steht vor der Herausforderung, klimaneutral werden zu müssen oder zu möchten. Ein ziemliches Problem: So ein Frachtschiff ist kein Auto, das man mal rasch als E-Auto baut.

Um ein Gefühl für die Größenordnung zu bekommen: Das aktuell größte Containerschiff, die Ever Alot, ist 400 Meter lang – das sind vier Fußballfelder hintereinander. Sie ist mehrere Stockwerke hoch mit Containern beladen. Eine so gigantische Masse an Bruttoregistertonnen in Bewegung zu bringen und zu halten, schafft kein Elektromotor mit Akkus. Das verbraucht tonnenweise Schweröl, das trotz modernster Abgasfilter immer noch jede Menge Zeug in Luft, Umwelt und Klima bläst. So etwas Großes umweltneutral zu kriegen, ist fast unmöglich.

Aber nötig. Denn Globalisierung und damit Wohlstand sind praktisch identisch mit Seefracht. 90 Prozent aller weltweit gehandelten Güter werden irgendwann auf ihrem Lieferweg mit der Seefracht transportiert. Ohne eine klimaneutrale Seefracht sind die weltweiten Klimaziele also gar nicht zu erreichen. Daher versuchen die Reedereien mit allen Mitteln, Emissionen zu reduzieren und das so schnell wie möglich – was dem Adjektiv eine ganz neue Bedeutung verleiht.

Denn so ein Frachtschiff kann überhaupt nicht „schnell“ umgerüstet werden, weil es im Schnitt 25 Jahre fährt. Und „bloß“ wegen des Klimas wird keine Reederei ihre komplette Flotte von heute auf morgen abwracken und Schiffe mit Windkraftantrieb in Dienst nehmen. So viel Geld hat nicht einmal die Weltbank. Wobei es überhaupt nicht am Geld liegt, sondern an der Technik: Man kann ein Auto mit Strom antreiben – einen Superfrachter nicht. Also versuchen die Reedereien mit technischen Tricks ihre Emissionen zu reduzieren. Mit Tricks, die zugleich seltsam und uralt sind: Sie setzen Segel. Auf Superfrachtern. Das ist ein Scherz, richtig?

Nein. So unvorstellbar das auch ist: Je nach Route, Windstärke, Schiffstyp, Beladung und Besegelung wird damit eine Kraftstoffeinsparung zwischen 10 bis 90 Prozent erreicht – das ist ein Riesenintervall, welches verdeutlicht, wie unberechenbar Natur und Segelschifffahrt im Grunde sind. 10 Prozent sind nicht der Rede wert, doch 90 Prozent sind ein starkes Wort, wenn die Winde günstig wehen.

Es gibt noch nicht viele Containerschiffe, die Segel setzen können, doch unter den neu gebauten Schiffen werden es immer mehr. Eines der bekanntesten ist die Shofu Maru, ein japanisches Schiff, das im Oktober 2022 seinen Stapellauf hatte. Dank seines riesigen Hard Sails am Bug, genannt „Wind Challenger“, kann es seine Emissionen auf der Route Japan – Australien um 5 Prozent reduzieren. Das ist nicht viel, aber jedes bisschen hilft. Wobei „Segel“ heutzutage nicht mehr das bedeutet wie zu Odysseus‘ Zeiten. Die Ingenieure haben seither viele Arten von Segeln entworfen.

Eine Art ist, das Frachtschiff selbst wie ein Segel zu formen. Sein Rumpf bietet den Seewinden so viel Angriffsfläche, dass sie es praktisch in Form von Rückenwind vor sich hertreiben. Wie jeder Sonntagssegler weiß, erfordert das jedoch die nautische Fertigkeit des Steuermanns, sein Schiff ständig „vor dem Wind“ zu halten. Gegen den Wind zu kreuzen, kann bei dieser Konstruktion Kopfzerbrechen bereiten.

Die zweite Variante ist ebenfalls kein Segel, wie es sich Landratten vorstellen. Es ist eigentlich überhaupt kein Segel, sondern ein riesiger Drache, der vor den Bug des Schiffs gespannt wird und der das Schiff zieht – natürlich lediglich als Ergänzung zum Schiffsdiesel.

Dritte Variante: der sogenannte Flettner-Rotor. Dieser übersteigt nun völlig die Vorstellungskraft des modernen Landbewohners. Wie der Name schon sagt, ist dieses „Segel“ überhaupt kein Segel, sondern ein Rotor, den man sich wie eine riesengroße Litfaßsäule vorstellen muss. Auf dem E-Ship 1 zum Beispiel sind diese beiden Rotoren 27 Meter hoch und 4 Meter dick und rotieren im Wind, wobei sie eine Kraft rechtwinklig zur Windströmung entwickeln, indem sie auf der einen Seite einen Unter- und auf der anderen einen Überdruck erzeugen – im Prinzip wie der Flügel eines Flugzeugs. Physik-Fans kriegen dabei feuchte Hände. Der Flettner-Rotor war vor rund hundert Jahren einmal als Weiterentwicklung des herkömmlichen Segels gedacht, dann lief ihm die Dampfmaschine den Rang ab. Doch in Zeiten der Klimakrise erlebt er eine Renaissance, weil Dampf und Ruß jetzt nicht mehr en vogue sind.

Die vierte Variante schließlich ist das klassische Segel. Aber heutzutage nicht aus Stoff, sondern aus High-Tech-Faserverbundstoffen.

Interessant sind diese technischen Varianten einer Renaissance der Segelschifffahrt – falls man das noch „Segel“schifffahrt nennen kann. Interessanter noch, dass nicht die Technik der Engpassfaktor ist: Schon vor Jahren hätte man jedes neu gebaute Schiff mit einer solchen Segel-Variante ausstatten können. Eine Weltregierung oder die Welt-KI hätte das per Gesetz vorschreiben und damit einen großen Schritt in Richtung der Rettung des Weltklimas tun können. Da die ewig zerstrittene Menschheit zu einem solchen länderübergreifenden konstitutionellen Konsens jedoch weder willens noch in der Lage ist, muss es wer wieder richten?

Der Markt.

Der damit bis an die Grenze des Marktversagens und darüber hinaus ge- und überfordert ist. Denn jede Rederei, die ihre Schiffe mit Segeln ausstattet, handelt sich sofort einen Investitionskostennachteil ein. Umso erstaunlicher, dass tatsächlich bereits einige Frachtschiffe mit Segeln unterwegs sind: Bei jeder sogenannten Zeitenwende sind es lange Zeit immer nur die Wenigen, die Besten, die rechtzeitig tun, was getan werden muss.

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