Flying V

Weiter in unserer Rubrik: „Was alles gegen die Klimakatastrophe unternommen wird, von dem die (protestierende) Öffentlichkeit nichts weiß.“ Heute: Thema Fliegen. Also nicht das Insekt, sondern das, was wir tun, wenn wir in Urlaub fliegen, auf Geschäftsreise jetten oder massenhaft Zeugs bestellen, das erst (meist ohne unser Wissen) per Luftfracht transportiert werden muss. Über den Wolken mag die Freiheit wohl grenzenlos sein, aber nicht die Freiheit von CO2.

Davon pusten die Flieger nämlich jede Menge in die Luft, was einigermaßen kontraproduktiv ist. Denn bis 2050 wollten wir eigentlich, laut EU-Kommission, die CO2-Emissionen um 75 Prozent reduzieren. Wie soll das gehen, wenn die Anzahl von Flügen und Passagieren seit Jahren mit ungebrochener Tendenz im Steigflug begriffen ist? Wir fliegen immer mehr und immer mehr fliegen.

2017 waren es noch 4 Milliarden (!) Passagiere. Laut Schätzung der International Air Transport Association (IATA) sollen es bis 2037 bereits 8,2 Milliarden sein: mehr als doppelt so viel. Wir fliegen immer mehr und immer länger in den Urlaub, die Geschäftsreisen per Flugzeug nehmen zu wie auch das Aufkommen an Luftfracht. Auch das ist ein Symptom der Globalisierung. Man besteigt heute so selbstverständlich einen Flieger wie man früher die S-Bahn nahm – und das Klima macht schlapp. Ob sich beim prognostizierten rasanten Anstieg der Passagierkilometer der Flug an Orte noch lohnt, die vom Klima verwüstet werden?

Weil es niemand so weit kommen lassen möchte, werden laufend Konzepte entwickelt, mit denen der Klima-GAU noch verhindert werden könnte. Eines der interessanteren darunter ist Flying V. Es heißt so, weil das neue, bahnbrechende Flugzeug, das mit diesem Konzept verwirklicht werden soll, von oben betrachtet wie ein V aussieht: An der Spitze des V sitzt das Cockpit und nach hinten breiten sich die Flügel des Flugzeugs wie die beiden Flügel des V aus. Einen Rumpf im herkömmlichen Sinne hat das Flugzeug der Zukunft nicht mehr. Die Passagiere sitzen quasi in den Flügeln. Das sieht überraschend aus und erinnert gestandene Rock’n Roller spontan woran?

Tatsächlich, die Ähnlichkeit ist verblüffend: Das neue Flugzeug sieht so aus wie die berühmte Gibson Flying V, die legendäre E-Gitarre, die schon Jimmy Hendrix spielte und unter anderem Keith Richards oder auch Lenny Kravitz. Doch wegen der musikalischen Reminiszenz reden wir heute nicht darüber. Sondern weil das Flugzeug, das praktisch nur aus Flügeln besteht – auf dem Reißbrett –weniger Kerosin verbrennt und damit entsprechend rund 20 Prozent weniger CO2 ausstößt. Gleichzeitig kann es bei einer Spannweite von 65 Metern und einer Länge von 55 Metern in etwa so viele Passagiere aufnehmen wie ein herkömmlicher Airliner vergleichbarer Größe.  Außerdem können die Start- und Landebahnen der Flughäfen so bleiben wie sie sind. Die Flying V ist dazu noch deutlich leiser als die alten Flieger, weil ihre Triebwerke nicht unter, sondern auf den Flügeln sitzen. Die Flying V fliegt quasi mit ihrer eigenen untergeschnallten Schallschutzwand.

So verdienstvoll das neue Konzept für Klima und Umwelt ist: Es hat auch Nachteile. Da der Rumpf entfällt und die Passagiere in den Tragflächen sitzen, sitzen sie nicht mehr auf der Längsrotationsachse des Fliegers. Neigt sich nun der Nurflügler zum Beispiel in eine Linkskurve, erleben die Passagiere im rechten Flügel einen Achterbahn-Effekt: Erst hebt es sie nach oben, dann fahren sie runter in die Kurve. Ob bei dieser Berg-und Talfahrt das Bordessen auf dem Klapptisch, respektive im Magen bleibt? Muss man sich auf der Bordtoilette dann anschnallen? Und wie bändigen die FlugbegleiterInnen auf dieser Buckelpiste ihre Wägelchen, die sie den Gang rauf und runter schieben?

Das Nurflügler-Konzept ist nicht neu. Schon länger gab es Flugzeuge, die praktisch nur aus Flügeln bestehen. Einige Stealth-Bomber sind rumpflos. Neu ist lediglich, dass das Konzept jetzt ernsthaft für den Linienflug adaptiert und getestet wird. Justus Benad hat das Konzept für seine Abschlussarbeit an der TU Berlin ausgetüftelt. Kein Wunder, dass ihn nach seinem Abschluss Airbus mit Handkuss nahm und das Flying V zum Patent angemeldet hat. Der Prototyp in handlicher Modellbau-Größe fliegt bereits. Die Fluggesellschaft KLM hat angekündigt, dass sie bis Oktober dieses Jahres einen 3 mal 3 Meter großen unbemannten Prototypen starten lassen möchte.

Die Flugzeugbauer, Fluglinien, Entwickler und Techniker arbeiten nicht nur mit diesem Konzept daran, das Fliegen klimafreundlicher zu machen. Ob ihre Bemühungen noch rechtzeitig kommen, ist eine andere Frage. Doch vielleicht ist das angesichts der immer deutlicher sich abzeichnenden Klimaschäden nicht mehr relevant, weil nur noch das Motto zählt: Jedes bisschen hilft.