Heute wieder etwas zum Thema: Alle reden darüber, aber keiner weiß Bescheid. Das Stichwort lautet: Klimapaket der Bundesregierung. Das Paket wird – Vorsicht, Kalauer-Alarm! – derzeit heiß diskutiert. Die Regierung stellt es als Jahrhundert-Gesetzgebung dar (was es auch ist: Es gab vorher nichts Vergleichbares). Opposition und Medien bezeichnen es als Mogelpackung. Die übliche Frage, die Medien, zumal die sozialen, klar und fundiert zu beantworten sich nicht imstande oder nicht willens zeigen (das zu klären ist selbst eine interessante Frage): Wer hat Recht? Und warum?
Fokussieren wir auf den Kern des Paketes, auf den CO2-Preis. Ab 2021 bekommt das CO2, das im Verkehr und bei der Wärmeerzeugung ausgestoßen wird, einen Preis. Den Preis bezahlen Unternehmen, die Heizöl und Diesel in Verkehr bringen, auf sogenannte Zertifikate, die zum CO2-Ausstoß berechtigen. Wer künftig Umwelt und Klima verpesten möchte, muss dafür sozusagen eine Buße bezahlen, damit er verpesten darf. Damit sie nicht darauf sitzen bleiben und weil wir ja beim Verpesten kräftig mitmachen, geben die Unternehmen den Preis je nach Gewinnlage und Marktsituation komplett oder teilweise an uns Kunden weiter, worauf wir weniger Diesel und Heizöl kaufen, weil beides teurer geworden ist. So weit die Theorie zur Marktregulationsfunktion des Preises. Jetzt zur Preistafel.
Ab 2021 kommt der Preis und beträgt zunächst 10 Euro pro Tonne CO2. Das ist ein Fixpreis, also ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich: Marktpreise sind nie fix (weil ein funktionierender Markt ständig in Bewegung ist). Gebühren sind fix. Wie dem auch sei: Bis 2025 steigt der Preis auf 35 Euro pro Tonne, und ab 2026 verdient der Preis dann endlich (halbwegs) seinen Namen: Da wird der Preis den Marktkräften ausgesetzt und freigegeben – aber eben nicht ganz, weil er sich lediglich in einem Spektrum zwischen einem Mindest- und dem Höchstpreis von 60 Euro bewegen darf (kein VWL’er traut sich, so etwas Reguliertes noch „Preis“ zu nennen). Sind Sie schon gebührend gelangweilt? Ich auch.
Das ist der übliche Politik-Bias mit inkludiertem Gähn-Reiz: Was kümmert mich der Tonnen„preis“? Ich rechne doch nicht mit Tonnen, sondern mit dem Preis für Heizöl und Kraftstoff. Der Bürger rechnet mit dem, was sich in seiner Geldbörse abspielt (weiß das die Politik?). Also haben fleißige Experten das Klimapaket in bürgerfreundliche Parameter umgerechnet: Wenn die Tonne CO2 25 Euro kostet, dann werden Diesel und Heizöl im Schnitt um 11 Cent pro Liter teurer. Stellen wir uns vor, unsere Lieblingstankstelle erhöht den Dieselpreis über Nacht um 11 Cent: Das haut ins Kontor, aber hallo! Leitartikler bezeichnen das übrigens auch als „Ablasshandel“.
Wir versündigen uns an Klima, Luft, Umwelt und unseren Kindern, wenn wir CO2 raushauen, bezahlen dafür jedoch eine Buße, damit uns die Sünde erlassen wird: Ablasshandel. Einmal abgesehen von dieser und anderen despektierlichen Bezeichnungen: Im Prinzip finden alle politische Parteien diesen Ablasshandel okay und zielführend. Mit Ausnahme von jenen Politikern, die vor der „Öko-Diktatur“ warnen und die Klima-Katastrophe leugnen. Und mit Ausnahme natürlich von jenen BürgerInnen, die (noch, da auch bald verboten) eine Ölheizung im Keller haben. Sie zahlen drauf – und kräftig. 11 und mehr Cent auf den Ölpreis draufzahlen? Da bleibt für das Heer der Altersarmutsrentner und Menschen in prekären Verhältnissen im Winter öfter das Wohnzimmer kalt. Harte Zeiten. Hier liegt der Klima-Hund begraben.
Denn das Klimapaket belastet Menschen mit geringem Einkommen prozentual stärker. Was logisch ist: Wenn ein Familienvater mit zwei Kindern und einem Bruttogehalt von 45.000 Euro für die jährliche Heizöl-Lieferung 4.000 Euro bezahlt, dann ist das prozentual deutlich mehr als wenn dieselbe Summe ein Großverdiener mit 150.000 Euro Gehalt bezahlt. Rein tendenziell haben Menschen mit höherem Einkommen auch einen höheren CO2-Ausstoß. Doch ihr zusätzliches Einkommen ist weitaus höher als ihr zusätzlicher CO2-Ausstoß. Ergo: Das Klimapaket und damit der Klimaschutz und damit die Bundesregierung belasten den kleinen Mann und die kleine Frau deutlich stärker. Gerecht ist das nicht. Fair auch nicht.
Das Leben und Regierungen sind nicht fair? Ist wohl so. Und wurde auch schon ausgerechnet: Haushalte mit niederem Einkommen werden vom Klimapaket im Schnitt mit mehr als 1 Prozent ihres Netto-Haushaltseinkommens belastet, während es bei den oberen, gutverdienenden 10 Prozent der Haushalte lediglich 0,4 Prozent sind. Die kleinen Leute werden also grob dreimal stärker belastet als die oberen Zehntausend. Das ist gut fürs Klima, aber wenn das Leben ein Fußballspiel wäre, dann würde der Schiri hier wegen groben Foulspiels abpfeifen und Karten verteilen.
Die quantitative Unterfütterung dieser Argumentation geht übrigens auf die Experten vom Ifo-Institut zurück, die über die klimabedingte Ausbeutung der kleinen Leute hinaus noch einen Kritikpunkt in die Runde werfen, nämlich: Das Paket funktioniert nicht. Nicht als Klimarettung. Dazu ist der CO2-Preis zu niedrig. Wie bitte? 11 Cent mehr pro Liter sollen unseren Diesel- und Heizölverbrauch nicht drosseln? Doch, schon – aber nicht genug. Nicht so stark, dass damit das Klima gerettet werden könnte. Dafür wären laut Experten mindestens 50 Euro pro Tonne nötig – und das jetzt schon und nicht erst ab 2026, wenn der Preis „freigegeben“ wird. Denn fürs Klima ist es jetzt schon fünf vor zwölf. Und das ist immer noch nicht alles.
Denn jetzt kommt etwas, was die Marktregulationsfunktion des Preises (für jeden, der „VWL“ buchstabieren kann) völlig ad absurdum führt: Die CO2-Zertifikate gibt es in grenzenloser Menge! Dafür muss man nicht VWL studiert haben, das weiß jedes Kind: Nur knappe Güter haben hohe Preise (Gold zum Beispiel oder bezahlbare Eigentumswohnungen). Was in unbegrenzter Menge vorhanden ist, kann niemals teuer werden. Wie konnte der Politik bloß so ein Fehler unterlaufen?
Ist es überhaupt ein Fehler, der das Klimapaket zum zahnlosen Tiger macht? Jedenfalls rechnen die Klima-Experten damit, dass mit diesen eingebauten Konstruktionsmängeln das Paket den CO2-Ausstoß bestenfalls um ein Drittel jener Menge reduzieren kann, die für das Klimaziel von nur 1,5° Erderwärmung nötig ist, sagt zum Beispiel der Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR), des Dachverbandes der deutschen Naturschutzorganisationen, Prof. Dr. Kai Niebert. Wenn das Klimapaket dieses Drittel bestenfalls erreicht, dann steigt in der Folge die Welttemperatur um 3,5° – das Todesurteil für Sylt und Klima. Wie die Thunberg es formulierte: How dare you? Oder ist das überhaupt kein Fehler?
Sondern vielmehr eine kluge Markteintrittsstrategie? Anstatt uns brave BürgerInnen mit Aufschlägen von gleich 50 Cent zu schocken, wird die Klima-Intervention langsam, allmählich, Schritt für Schritt eingeführt. Ein schlagendes Argument – bis wir uns an das Gegenargument erinnern: Es ist bereits fünf vor zwölf und keine Zeit mehr für langsam, allmählich und Schritt für Schritt. Wenn wir das Klima noch retten wollen, müssen wir jetzt anfangen, sofort, hic et nunc und mit 7-Meilen-Stiefeln. Die Betonung liegt auf „wir“. Wenn die große Politik mal wieder versagt, dann bleibt es an uns kleinen Leuten hängen. It’s a tough job, but someone’s got to do it!
Und wir können so vieles tun. Wir können weniger Auto fahren und wenn wir fahren, spritsparend beschleunigen und bremsen. Oder gleich die Bahn nehmen. Wir können weniger Fleisch konsumieren und Kleidung kaufen, die nicht nach dem dritten Waschen weggeworfen werden muss. Wir können Tiefkühlware zum Auftauen rauslegen anstatt mit der Mikrowelle auftauen und die Heizung runterdrehen, wenn wir lange aus dem Haus sind. Wir können weniger fliegen und weniger Plastikzeug kaufen. Wer auch nur fünf Minuten im Internet googelt, findet zwei Dutzend weiterer sinnvoller Klimatipps für jeden Einzelnen, die wir mit etwas gutem Willen stehenden Fußes nutzen können (oder sind uns Klima und Kinder diesen guten Willen nicht wert?). Seien wir kleinen Leute schneller, besser, weitsichtiger und klüger als die große Politik. Es ist unser Klima. Kümmern wir uns darum. Wir sind das Klima!